Eine deutsche Professorstochter: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 15. August 2022, 20:30 Uhr
Ein Artikel on Rudolf von Gottschall (1823-1909) aus 1871.
Die Universitätsstadt Jena, der altberühmte Sitz deutscher Philosophie und Dichtkunst, so romantisch im Saalthale gelegen, dessen hohe und steile Uferberge hier fast scharfgeschnittene italienische Profile annehmen, kann in vieler Hinsicht als ein „Literatur-Pompeji“ betrachtet werden, denn nicht nur die Michaeliskirche und der Burgkeller, dieser Stammsitz der deutschen Burschenschaft, die vor Zeiten die ganze Diplomatie in Angst und Schrecken setzte, nicht blos die Saalbrücke und der Hausberg, der Berg „mit dem röthlich strahlenden Gipfel“, welchen Schiller in seinem Spaziergang feiert, ziehen die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich, noch mehr die Inschriften, welche sich oft auf den unscheinbarsten Häusern finden, die großen Namen der Dichtkunst und Gelehrsamkeit, welche uns bisweilen aus den verlorensten Straßenwinkeln entgegenglänzen!
Die großen Namen und die kleinen Häuser! Mußten die hohen Gedanken sich nicht an den niedrigen Decken stoßen? Welche Tagelöhnerwohnungen, in denen die Meister einer blühenden Literaturepoche sich angesiedelt hatten! Nur der Dichter des „armen Poeten“, Kotzebue, bewohnte ein stattliches Haus; seine Gegner aber, die Romantiker, waren einquartiert wie arme Poeten.
Durch mehrfache Inschriften fällt ein sonst sehr unscheinbares Haus in’s Auge, welches hinter einem dicken runden Mauerthurm sich zu verstecken scheint. Da lesen wir den Namen des berühmten Philosophen Hegel, der in dieser alten Baracke, in Stuben, in denen ein Mann von stattlicher Größe kaum aufrecht stehen konnte, das philosophische Hauptwerk seiner Jugend verfaßte; da lesen wir die Namen der beiden Schlegel, von denen der ältere während seines mehrjährigen Aufenthalts in Jena hier seine journalistische Werkstatt und sein Uebersetzungsatelier aufgeschlagen hatte. In diesem Hause verlebte auch eine der merkwürdigsten Frauen jener Zeit ereignißreiche Jahre ihres Lebens, die Gattin A. W. Schlegel’s, später die Gattin Schelling’s, jene „Karoline“, deren intimste Gedankenwelt in ihren Briefen jetzt zu Tage liegt in dem ihr gewidmeten Gedenkbuche, welchen Professor Waitz neuerdings herausgegeben hat (Karoline, 2 Bde. Leipzig, Hirzel 1871).
Karoline erscheint in ihrem Leben und in ihren Briefen keineswegs als das empfehlenswerthe Ideal einer deutschen Hausfrau; wenigstens ist es nicht diese Charaktereigenschaft, durch welche sie Ansprüche auf den Antheil der Nachwelt erheben kann. Auch nicht allein ein sinniges und freudiges Mitleben mit den geistigen Bestrebungen des Gatten, wie es viele deutsche Gelehrten- und Dichterfrauen charakterisirt, machte sie zur willkommenen Lebensgenossin bedeutender Männer; nein, sie selbst war eine anregende, schöpferische Natur voll genialer Offenbarungen, aber zugleich von rastloser Unbefriedigung, mit dem Trachten nach den höchsten Lebensgenüssen, mit einer beweglichen, wechselnden Empfindung; sie war eine Art von weiblichem Faust, eine jener Faustinen, welche, bei seltener geistiger Begabung und ebenso seltener geistiger Bildung doch im Grunde dämonische Naturen sind und über jedes errungene Lebensziel wieder hinausstreben. Ihre Sympathieen steigern sich zu hingebender Gluth der Leidenschaft, ihre Antipathien zu scharfer, ja vernichtender Kritik. So verfallen sie aber auch selbst dem verschiedenartigsten Urtheil, von dem Entzücken über ihre hinreißende Liebenswürdigkeit bis zur Verdammung ihrer intriguanten Bosheit. In so entgegengesetzter Beleuchtung erschien auch Karoline den Zeitgenossen und selbst für eine spätere Zeit wird es nicht leicht sein, für so glänzende Vorzüge und Fehler die rechte Mitte der Beurtheilung zu finden. Es kam dazu; daß ein ungewöhnliches und vielfach trauriges Lebensgeschick den originellen Geist dieser Frau lange Zeit auch äußerlich nicht zur Ruhe kommen ließ. Es gab eine Epoche, wo sie als eine verfehmte Abenteurerin aus vielen gesellschaftlichen Kreisen ausgeschlossen blieb, bis sie als die Gattin eines namhaften Aesthetikers und Kritikers und später als die Frau eines berühmten Philosophen ihre volle Geltung in der Gesellschaft wiedergewann.
Karoline war geboren in Göttingen den 2. September 1763, als die Tochter des bekannten Professors der Theologie, Michaelis, der auch eine mehrbändige „Moral“ verfaßt hat. Wir wissen nicht, ob sich Karoline mit dem Studium dieser „Moral“ in ihrer Jugend befaßt hat; keineswegs hat sie ihr späteres Leben nach den Paragraphen derselben eingerichtet. Deutsche Professorstöchter erhalten oft eine gelehrte Erziehung; von manchen wird berichtet, daß sie der lateinischen und griechischen Sprache mächtig waren; mindestens giebt ihnen das Echo der väterlichen Empfangssalons und Studirstuben allerlei gelehrte Stichwörter mit auf den Weg, welche sie in der Bewegung der Geister einigermaßen heimisch machen. Freilich läßt diese Regel auch sehr auffallende Ausnahmen zu. Karolinens Freundin war Therese, die Tochter des berühmten Alterthumsforschers Heyne, in Göttingen, welche zuerst an den Mainzer Clubbisten Forster, dann an Huber verheirathet war. Als diese, durch die Noth des Lebens gezwungen, sich der Schriftstellerei zuwendete, fand es sich, daß sie mit der deutschen Grammatik und Orthographie auf einem sehr gespannten Fuße lebte, und es bedurfte erst längerer Studien und der helfenden und bessernden Hand des Gatten, um Therese Huber in den Kreis der deutschen Schriftstellerinnen einzuführen.
Karolinens Erziehung hatte ihr indeß diesen Conflict mit der deutschen Sprache erspart; schon ihre Jugendbriefe zeigen eine vollkommene Beherrschung derselben, welche durch kleine orthographische Licenzen nicht in Frage gestellt wird. In diesen Briefen des jungen Mädchens ist der religiöse Geist des väterlichen Hauses unverkennbar; er spricht sich mit wohlthuender Innigkeit aus neben einer heitern Schalkhaftigkeit und dem Gefühl geistiger Ueberlegenheit wie es sich in der Neigung zum „Bemuttern“, ihrer Schwester gegenüber, lange Jahre hindurch kundthat. Karolinens Liebenswürdigkeit gewann das Herz des Bergmedicus Böhmer in Clausthal; uns sind noch die dithyrambischen Ergüsse aufbewahrt, in denen der glückliche Bräutigam seinen für einen praktischen Arzt etwas überschwenglichen Liebesrausch ausjubelte. Ihm wurde auch bald, im Jahre 1784 den 15. Juni, die Hand der Geliebten zu Theil; sie folgte ihm nach Clausthal, in die Harzer Bergidylle, die sie mit Heine’schen Farben schildert.
Es war etwas einsam hier, keine Studenten, keine Professoren, keine Literaten und Ritter des Geistes; die Thätigkeit des vielbeschäftigten Arztes gönnte ihm nicht Zeit genug, am häuslichen Herde auszuruhen; mitten in dem Schooße eines durch die Geburt mehrerer Kinder befestigten Familienglückes weht uns bereits ein leises Ungenügen, theils in einsamer Klage, theils in satirischer Schilderung der Umgebung entgegen.
In den einsamen Winterstimmungen des öden Clausthal tröstet sie sich nun mit ihrer Tochter:
„Mit Trauer seh’ ich den Schnee, die Scheidewand zwischen mir und der Welt; es ist so ganz wieder das Gefühl vom vorigen Winter; so entblätterten sich die Bäume, so schwärzten sich die Tannen und der Wind rauschte an meinem einsamen Zimmer, die Wolken wallten in tausend Gestalten über uns hin – ich lebte nicht in der Gegenwart, sondern in der Hoffnung des Frühlings und dessen, was er bringen würde – das war der einzige Unterschied. Jetzt hab’ ich mein Kind, jetzt genießt ich des Guts, auf das ich harrte, und welch ein Kind! Meine Auguste ist ein reizendes Geschöpf!“
Trostreich war für sie der aufgeschlossene Sinn für die kleinen Beschäftigungen und Freuden des Lebens, über den sie sich in so geistvoller Weise ausspricht:
„Wir wären elend, wenn nicht aus Kleinigkeiten unsere Glückseligkeit zusammengesetzt wäre, deren Summe eitel ist, aber die in Einzelnen doch fähig sind, uns ganz zu beschäftigen. Denn aus jener Stimmung, wo die Seele in sich zurückkehren zu wollen und im Begriff schien, ihre Tiefen und unser Wesen zu ergründen, ruft uns doch so leicht das Mindeste zurück, eine Stimme, ein schneller Blick, der auf ein Band fällt, auf ein Etwas – und das leitet uns wie ein Blitz zurück auf die Gegenwart, auf Annehmlichkeit und Abwechslung des Lebens. Geschmack und Freude daran leben auf. Es ist so – weiter weiß ich nichts davon. Gestern hab’ ich tractirt, und da war mir der Braten wichtiger wie Himmel und Erde.“
Trotz dieses Reichthums ihrer innern Welt konnte sie den Eindruck nicht verwinden, den die Verlassenheit Clausthals stets in ihrer Seele erneuerte, aus dessen Freudelosigkeit sie aber bald durch einen schmerzlichen Trauerfall erlöst werden sollte. Am 4. Februar 1788 starb Böhmer und der nachgeborene Sohn folgte ihm bald im Tode nach. Ohne feste Heimstätte begab sich Karoline zunächst nach Göttingen, dann nach Marburg zu ihrem Bruder, welcher Professor an der dortigen Universität war. Hier verlor sie ihre jüngere Tochter Therese. Im Frühjahr 1792 faßte sie den für sie so verhängnißvollen Entschluß, nach Mainz überzusiedeln, wo eine befreundete Professorstochter aus Göttingen, Therese Heyne, als Gattin des Weltumseglers Forster lebte.
Forster war eine sanguinische Natur; seine Begeisterung für die Ideale der Menschheit machte ihn zum Parteigänger der französischen Republikaner, und Karoline, die sich als Hausgenossin bald ganz in die Familie einlebte, gab sich den gleichen Gesinnungen mit Begeisterung hin. Dies geistige Band vereinigte sie mit Forster, dessen Schwächen sie wohl erkannte, dessen schwankende Stimmungen die ausdauernde Geduld schwesterlicher Freundschaft verlangten. Ob sie im heißen Sturm und Drang ihrer Sympathieen über das Gefühl der Freundschaft noch hinausging, ist aus ihren Briefen nicht zu ersehen – aber daß sie auf die Ehe Forster’s mit Theresen wie Scheidewasser gewirkt, darüber dürfte wohl kein Zweifel sein. Wenn auch Therese aus andern Gründen sich in ihrer Häuslichkeit unbehaglich fühlte, seitdem die Mainzer Republikaner, Bürger und Bauern, dieselbe überschwemmten und der geistig gebildete Kreis ihres frühern Umgangs durch die Zeitverhältnisse auseinandergesprengt war; wenn auch ihre Neigung für Huber nur des äußern Anlasses bedurfte, um sich vor aller Welt als die mächtigere zu offenbaren; wenn auch die bedrohliche Lage der Stadt Mainz eine Trennung von Weib und Kind für Forster fast gebieterisch zu heischen schien – immer bleibt es fraglich, ob die rasche und entschiedene Trennung der Gatten ohne den Einfluß dieser geistreichen und liebenswürdigen Frau stattgefunden hätte, der auf ein schwankendes Gemüth wie dasjenige Forster’s bald ein unbezwinglicher werden mußte. Die Thatsache steht fest, daß Therese sich von Forster trennte, daß aber Karoline trotz aller drohenden Gefahren bei ihm ausharrte und den schwer Erkrankten geduldig pflegte bis zu seiner Abreise nach Paris, wo nicht lange darauf der geistig bedeutende, aber undeutsch gesinnte Mann seinen Leiden erlag. Ueber die sittliche und politische Bedenklichkeit dieses Samariterthums machte sich Karoline kein Hehl; aber sie glaubte sich um die Meinung der Welt nicht bekümmern zu dürfen.
Nachdem der Führer der Mainzer Clubbisten, Forster, nach Paris abgereist war, verließ auch Karoline die von den deutschen Heeren bedrohte Stadt, um sich nach Gotha zur befreundeten Familie Gotter’s, des zierlichen französirenden Singspieldichters, zu begeben. Doch auf dem Wege nach Mannheim konnte sie nicht durchdringen, weil dort schon die Preußen standen; sie begab sich daher, unter dem Schutze eines Mannes, den sie für rechtschaffen hielt, der aber von ängstlich loyaler Gesinnung war, nach Frankfurt. Hier wurde sie von ihrem Beschützer selbst, als man sie ihres Namens wegen anhielt, dem preußischen Hauptquartier überliefert, erhielt zuerst in der Stadt selbst Arrest und wurde dann zu strenger Haft auf die Festung Königstein in den Waldbergen des Taunus gebracht.
Der Aufenthalt dortselbst war schrecklich; Karoline bekennt, daß sie in Königstein Tage verlebt hat, von denen jeder einzelne mit seinen Schrecken, seiner Angst und seinen Beschwerden hinreichen würde, ein lebhaftes Gemüth zur Raserei zu bringen. Um so eifriger war sie mit dem Abfassen von Memorialen und Suppliken beschäftigt, um aus der unerträglichen Haft erlöst zu werden; den Bemühungen ihres Bruders, namentlich aber dem Schutz und Einfluß Wilhelm von Humboldt’s, gelang es, ihre Befreiung zu erwirken, welche König Friedrich Wilhelm der Zweite selbst in einem Cabinetsschreiben anordnete.
Doch sollte der hartgeprüften Freiheitsschwärmerin in nächster Zeit noch manche andere bittere Erfahrung nicht erspart bleiben.
Karoline hatte inzwischen einen Ritter gefunden, der sie aus der Gefangenschaft nach Leipzig geleitete – A. W. Schlegel, einen jungen, philologisch durchgebildeten Literaten, dessen Bekanntschaft sie schon früher in Göttingen gemacht und mit dem sie längere Zeit hindurch in Briefwechsel gestanden hatte. Die Neigung Schlegel’s zu der geistreichen Karoline war jedenfalls eine tiefe und unerschütterliche. Da verschiedene Umstände, in erster Linie die politischen, es wünschenswerth erscheinen ließen, daß der Aufenthalt der Freundin zunächst geheim blieb, so ließ A. W. Schlegel sie unter dem Schutze seines Bruders Friedrich im Altenburgischen zurück. Friedrich Schlegel hatte damals seine jugendliche Sturm- und Drangperiode und gehörte zu jenen impertinenten literarischen Gassenjungen, die es zu allen Zeiten in Deutschland gab, die ungezogen waren, ohne gerade Lieblinge der Kamönen zu sein. Der Schutz einer Frau, welche von der Freigeisterei der Leidenschaft schon unleugbare Proben gegeben, stellte seine Bruder- und Freundestreue auf eine harte Probe; denn er macht kein Hehl daraus, daß Karoline den außerordentlichsten Eindruck auf ihn gemacht habe und daß er im Grunde den Bruder um das Glück beneide, von ihr geliebt zu werden. Er bewundert ihr tiefes Verständniß für Poesie, er theilt ihren Enthusiasmus für die revolutionären Ereignisse. Er verdankt dem Umgang mit der seltenen Frau eine Wendung seines Lebens; er schreibt ihr noch später einmal: „Denken Sie, ich stände vor Ihnen und dankte Ihnen stumm für Alles, was Sie für mich und an mir gethan haben. Was ich bin und sein werde, verdanke ich mir, daß ich es bin, zum Theil Ihnen.“ Und die nicht allzureiche Phantasie Friedrich Schlegel’s, die ihre Modelle frisch aus dem Leben greift, entwirft in dem verrufenen Roman „Lucinde“ das Bild einer Frau, deren Besitz das höchste Glück des Helden wäre, dem er aber unverweigerlich entsagen muß, weil sie bereits gewählt hatte und ihr Freund auch der seinige war. Dies Bild ist ohne Zweifel Karolinens Portrait, ausgeführt mit den schmeichlerischen Farben leidenschaftlicher Zuneigung: „Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Muthwillen und der Freiheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesangs. Alles umgab sie mit Gefühl und Witz, sie hatte Sinn für Alles und Alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süßredenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Theilnahme. Sprach sie, so spielte auf ihrem Gesicht eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen, und eben diese glaubte man zu sehen, wenn man ihre durchsichtig und seelenvoll geschriebenen Briefe las. Wer sie nur von dieser Seite kannte, hätte denken können, sie sei nur liebenswürdig, sie würde als Schauspielerin bezaubern müssen. Und doch zeigte eben diese Frau bei jeder großen Gelegenheit Muth und Kraft zum Erstaunen, und das war auch der hohe Gesichtspunkt, aus dem sie den Werth der Menschen beurtheilte.“
Mit diesem glänzend colorirten Portrait, zu welchem der Maler selbst in später Zeit manche ironische Unterschrift machte, stand die Aufnahme nicht in Einklang, welche Karoline damals in den gesellschaftlichen Kreisen fand. Sie hatte sich zu der befreundeten Familie Gotter’s in Gotha begeben; aber sie mußte bald eingestehen, daß es besser für sie gewesen wäre, nicht den Umgang mit Menschen wieder aufgesucht zu haben. Ihre Briefe aus dieser Zeit (1794) sind voll von Klagen: „Das politische Urtheil, das hier so schneidend ist, wie an irgend einem andern Orte, gilt als Vorwand, um sich erklärt von mir zu wenden. Für meine Freunde selbst bleibt so Vieles im Dunkeln, daß sie vielleicht bald den Muth verlieren, für mich zu streiten. Die Beschuldigungen meiner ehemaligen Freunde, die Fehltritte, zu denen ich hingerissen wurde, ja meine Tugenden selbst haben sich gegen mich verschworen, der wunderbare Zufall so gut wie die natürliche Folge meiner Handlungen drückt mich nieder – und ich kann nicht verlangen, daß es anders sein soll. Wer kennt mich, wie ich bin, wer kann mich kennen? Man hält mich für ein verworfenes Geschöpf und meint, es sei verdienstlich, mich ganz zu Boden zu treten.“ So weit ging die Missliebigkeit, welche sich die Freundin Forster’s durch ihre Mainzer Erlebnisse zugezogen hatte, daß das kurfürstlich hannover’sche Universitätscuratorium sie aus Göttingen auswies, als sie zum Besuch dorthin gekommen war.
Aus der Unerträglichkeit solcher Lage und Stimmungen erlöste sie August Wilhelm Schlegel, der ihr am 1. Juli 1796 in Braunschweig seine Hand reichte, mit jener Unerschrockenheit, welche dem jungen Romantiker, dem Vertreter einer Schule gesellschaftlicher Rücksichtslosigkeit, geziemte. Mit Schlegel, der als herzoglicher Rath an der Universität zu Jena docirte, zog sie in die Gelehrtenstadt an der Saale, wo damals Fichte und Schiller verweilten, wo sich später Schelling und Hegel einfanden und das jüngere Geschlecht der himmelstürmenden Romantiker. Hier in diesem Mittelpunkte literarischen Lebens wurde auch Karoline eine Literaturdame, welche ihren Gatten bei seinen Recensionen für die Jenaische Literaturzeitung unterstützte, das lebhafteste Interesse an jedem neuen Werk unserer Classiker nahm und ihre geistige Bedeutung nach allen Richtungen hin geltend machte. Gries nannte sie damals „die geistreichste Frau, die er je gekannt“, Steffens „eine bedeutende höchst geistreiche Frau“; Wilhelm von Humboldt erkannte den „hohen Geist“ an, der aus ihren Briefen spricht.
In der That ist der jetzt veröffentlichte Briefwechsel Karolinens das Denkmal einer ungewöhnlichen Begabung, wie sie nur wenigen deutschen Frauen eigen war; aber neben den tiefsinnigsten Orakeln, die an die Offenbarungen der auch in den Briefen oft erwähnten Rahel erinnern, neben Herzensergüssen von leidenschaftlicher Bewegtheit und Gedankenperlen von edelster Fassung findet sich auch des Einseitigen und Gehässigen viel, der Ausdruck ebenso unerbittlicher wie unberechtigter Antipathieen, die sich mit schneidender Schärfe und tödtlicher Verbitterung aussprechen. Prophetin und Intriguantin zugleich, hier bewundernd und verklärend, dort hetzend und schürend, außerdem nicht den Geist einer Epoche verleugnend, welcher die Empfindung und Leidenschaft höher stand als das sittliche Gesetz, kann Karoline nicht den Eindruck eines weiblichen Idealbildes machen, welches der Verehrung deutscher Frauen würdig wäre; aber sie bleibt ein höchst interessanter und pikanter Studienkopf auch da, wo der tiefste Schatten auf ihre Züge fällt, und ist in ihren Fehlern und Verirrungen lehrreicher als manches reine weibliche Vorbild durch seine unantastbaren Vorzüge.
Ihre feindselige Gesinnung richtete sich besonders gegen unsern großen Nationaldichter Schiller, welcher A. W. Schlegel als Mitarbeiter der „Horen“ nach Jena gezogen hatte. Fr. Schlegel, bis dahin ein großer Bewunderer Schiller’s, schrieb in jugendlichem Uebermuth eine etwas scharfe Kritik über den Schiller’schen „Musenalmanach“; hierzu kam, daß der Dichter einen Aufsatz von ihm nicht für die „Horen“ geeignet fand. Es begab sich nun, was sich leider in Deutschland immer von Neuem wiederholt; aus solchen äußeren Gründen wurde der Bewunderer des „großen Dichters“, der ihm früher auch ein höchst außerordentlicher Mensch erschien, jetzt dessen eifrigster Gegner, der plötzlich in den bisher gepriesenen Vorzügen nur tadelnswerthe Fehler erblickte; A. W. Schlegel hatte, seiner ganzen Richtung nach, stets geringere Sympathieen für Schiller gehegt; bei den Schlegels bildete sich nun ein feindliches Heerlager in nächster Nähe Schiller’s, und die „Ate dieses unglücksel’gen Kriegs“ war Niemand anders, als Karoline.
Man erstaunt heute, wenn man gegenüber der ruhigen Glorie, in welcher Schiller’s Name strahlt, die Urtheile liest, welche von diesen jugendlichen Schwarmgeistern, von anscheinend berufenen Lehrern und Meistern des Schönen über den Dichter gefällt wurden. So schreibt z. B. Friedrich Schlegel über den Wallenstein-Prolog, in welchem er eine Nachahmung Goethe’s findet, und über den „Kampf mit dem Drachen“:
„Was Schiller betrifft, so bewundere ich nächst der heldenmüthigen Selbstentäußerung in dem Goethe’schen Prolog, der mir wie eine ausgehöhlte Fruchthülse vorkommt, nichts so sehr wie die Geduld. Denn, um solche lange Drachen in Papier, in Worte und Reime auszuschnitzen, dazu gehört doch eine impertinente Geduld. Uebrigens erinnert mich sein Glück an sein Unglück, daß ihm die ästhetischen Briefe nicht rein herauskamen, und gestört wurden. Die stecken ihm nun im Geblüt und der ganze Würdemuth ist auf die innern Theile gefallen. Auch vergeht selten eine lange Zeit, daß er sich nicht in einigen Gedichten, die ästhetischer sind als dichterisch, Luft macht.“
Karoline selbst fällt die schärfsten Urtheile über den „Wallenstein“, den sie „ein Werk der Kunst ohne Instinct“ nennt, über „Maria Stuart“, „die Jungfrau von Orleans“. Das non plus ultra antipathischer Kritik aber sind wohl die folgenden Zeilen über das volksthümlichste Gedicht Schiller’s:
„Ueber das Lied von der Glocke sind wir gestern Mittags fast von den Stühlen gefallen vor Lachen; es ist à la Voß, à la Tieck, à la Teufel, wenigstens um des Teufels zu werden.“
So bestritten war der Ruhm der Classiker bei ihren Lebzeiten, und nicht etwa von verständnißloser Unbildung, sondern von den Geistreichsten, die aus der Poesie und Literatur ihre Lebensaufgabe gemacht hatten.
Das Verhältniß zwischen Karolinen und ihrem Schwager Friedrich Schlegel sollte sich bald auch in bedenklicher Weise trüben. Friedrich begann mit der verzückten Bewunderung der liebenswürdigen Schwägerin; er eröffnete später eine regelmäßige Correspondenz mit der niedlichen Tochter derselben, Auguste Böhmer, und wickelte in diese buntschillernden Bonbonpapierchen allerlei zierliche Devisen, welche eigentlich für die Mutter bestimmt waren. Das „Aeffchen Augustchen“ erhält in diesen Briefen verschiedene gute Lehren für seine Ausbildung und bekommt Dinge zu hören, von denen es noch gar keinen Begriff hat. Wie weit die Taktlosigkeit des Lucindendichters ging, das zeigt wohl der folgende Auftrag, den er dem zwölfjährigen Mädchen giebt:
„Wenn die Mutter aber auch wissen will, was sie für eine Natur hat, so sage ihr nur: politisch-erotisch, doch möchte das Erotische wohl überwiegend sein. Ich sehe Dir nun schon an, daß Du nun auch Deine Natur wissen willst. Du hast aber noch keine, liebes Kind. Die wächst einem erst später.“
Friedrich Schlegel machte inzwischen in Berlin eine Eroberung; die Tochter des würdigen Moses Mendelssohn, Dorothea, an einen Banquier Veit verheirathet, ließ sich von diesem scheiden, um dem Romantiker zunächst nach Jena zu folgen. Gegen diese geistreiche Berliner Jüdin hegte Karoline eine unüberwindliche Antipathie; wenn sie von ihr spricht, scheinen die Worte sich in Krallen zu verwandeln mit denen sie ihr die Augen auskratzen will. Natürlich erlitt das Verhältniß der beiden Brüder eine unerwünschte Störung durch den Eifer, mit welchem die Töchter des christlichen und des jüdischen Moralphilosophen sich gegenseitig befehdeten.
Doch der Lebensroman Karolinens wurde bald mit einigen der interessantesten Capitel bereichert. Aeußere Veranlassung dazu gab die kleine, harmlose Auguste, die nicht nur das Brieftäubchen für Friedrich Schlegel’s Herzensergüsse an die Mutter war, sondern auch als liebliches Naturkind die Augen des jungen Naturphilosophen Schelling auf sich gelenkt hatte.
Die „granit’ne“ Natur Schelling’s, der sich inzwischen auch in Jena eingefunden hatte, übte auf Karoline große Anziehungskraft; sie beschäftigte sich damit, eine „Granitin“ für ihn zu suchen, und glaubte dieselbe eine Zeitlang in Rahel gefunden zu haben. Bald zeigte es sich indeß, daß sie deshalb nicht in die Ferne zu schweifen brauchte; denn ihre eigene Auguste hatte es dem eisernen Denker angethan. Es bildete sich bald ein Verhältniß, das für die Dauer berechnet schien. Das zarte Kind, das übrigens „impertinent lustige“ Briefe zu schreiben verstand, nannte Schelling sein „liebes Müllchen“ und umgab ihn mit so vieler rührender Kindlichkeit, daß der junge, etwas schroffe Gelehrte sich auf diesem Spielplatze der Empfindungen etwas sonderbar vorkommen mußte. Nur ein Schatten fiel auf dies holde Verhältniß. Die geistreiche Mutter nahm einen Pflichttheil der Liebe, welche ihrer Tochter gespendet wurde, für sich in Anspruch – und Schelling’s Empfindung mochte darüber oft in’s Schwanken gerathen. Er befand sich in der Lage, welche der römische Dichter Horaz besingt, wenn er von der schöneren Tochter der schönen Mutter spricht, und welche ebenso Heine zu den bekannten sinnreichen Versen begeistert hat, die wir hier nicht weiter anzuführen brauchen.
Die Mutter machte Randglossen zu den Briefen der Tochter, corrigirte gelegentlich in dieselben hinein, war allgegenwärtig bei dem kindlichen Liebesverkehr, und selbst wo die Tochter dem eigenen Herzen zu folgen schien, war sie nur das Echo der mütterlichen Empfindungen, wie die folgende höchste charakteristische Stelle in einem Briefe Augustens an Schelling beweist: „Ich danke Dir recht herzlich für das Mittel, was Du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen zu amüsiren, es schlägt herrlich an. Wenn ich auch noch so viel Narrenspossen treibe, um sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: ,wie sehr er Dich liebt‘, und sie wird gleich mullig[WS 1]. Das erste Mal, als er es ihr sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr Du sie denn liebtest. Da war nun meine Weisheit aus, und ich half mir geschwind damit, daß ich sagte? ,mehr als Alles‘; sie war zufrieden, und ich hoffe, Du wirst es auch sein!“
Arme Auguste, unglückliche Tochter einer bedeutenden Mutter – hattest du nie das Gefühl, daß Deine Adresse oft nur der Einlagen wegen benutzt wurde? Doch größere Kämpfe ersparte ihr das Geschick! Am 12. Juli 1890 starb sie im Bade Boklet, innig und rührend betrauert von der Mutter und dem gemeinsamen Freunde. Diese Trauer selbst aber wurde zu einem neuen Bande zwischen Beiden. „Nie kannst Du doch,“ schreibt Karoline an Schelling, December 1800, „das Weh der Mutter ganz in Dich aufnehmen. Es löst sich meine Seele immer mehr und mehr in jenes Wehe auf, und doch bin ich getrost und stark. Das erhalte Dir gegenwärtig, wenn ich auch nicht verhindern kann, an Deinem Busen zu weinen. Es quillt ein neues Leben aus diesen Augenblicken, sie sind selbst ein hohes Lebenszeichen, mein Gram ist nicht Niedergeschlagenheit, kein Verzagen und keine Verzweiflung und dann kann ich erst volles Vertrauen zu meinem Freunde haben, wenn ich ihm nichts davon zu verbergen brauche. Berühren laß mich es wenigstens, ich will Dich nicht daher verweilen; ich verweile selbst nicht. Wenn die Wolken des eig’nen Jammers mir auch das Haupt eine Weile verhüllen, es befreit sich bald wieder und wird vom reinen Blau des Himmels über mir beschienen, der mein Kind einschließt, wie mich. Die Allgegenwart – das ist die Gottheit – und meinst Du nicht, daß wir einmal allgegenwärtig werden müssen, Alle Einer in dem Andern, ohne deshalb eins zu sein?“
Der hier angeschlagene Ton liebender Hingebung zeigt bereits die bevorstehende Wendung in Karolinens Leben an. Sie begeisterte sich für Schelling’s geistiges Schaffen, vertiefte sich in seine philosophischen Schriften, studirte Naturwissenschaften, zum Beispiel die Geschichte der Erde, und begann, vor derartigen Kenntnissen eine tiefe Ehrfurcht zu hegen, dagegen von A. W. Schlegel’s Beschäftigungen gering zu denken; denn Poesie brauchte sie ja nicht zu lernen. Als Ausdruck der Empfindungen, die sie für Schelling hegte, wanderte auch gelegentlich an den Philosophen ein echt englischer Ueberrock, trotz seiner Schattenseite, daß er viel Haare ließ, empfohlen wegen seiner Lichtseite, daß man die Arme darin frei hat, um eine Freundin zu umarmen. Sie war indeß nicht blos eine nachbetende Freundin, sie war selbstschöpferisch im Denken, und Schelling konnte nicht schlagender den Gipfelpunkt seiner damaligen Gedankenwelt, die Kunst, verherrlichen, als Karoline dies in den prächtigen Worten eines Briefes an A. W. Schlegel that: „O mein Freund – wiederhole es Dir unaufhörlich, wie kurz das Leben ist und daß nichts so wahrhaftig existirt als ein Kunstwerk. Kritik geht unter, leibliche Geschlechter verlöschen, Systeme wechseln, aber wenn die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, so werden die Kunstwerke die letzten lebendigen Funken sein, die in das Haus Gottes gehen – dann erst kommt Finsterniß.“
Wenn wir bei diesem Bericht vergessen haben, daß Karoline noch immer Schlegel’s Gattin war, so erging es den Betheiligten nicht viel anders. A. W. Schlegel lebte meistens in Berlin, wo er Vorlesungen hielt und den jungen Schauspielerinnen, zum unverhohlenen Aerger Karolinens, den Hof machte. Allerlei mißmuthige Erörterungen auch über Geldsachen erfüllten die Briefe der Gatten; man entschloß sich zu gegenseitigen Zugeständnissen, doch auch diese erwiesen sich unzureichend. So beantragten Beide gemeinsam, in einem von gegenseitiger Achtung überquellenden Briefe, bei dem Herzog von Weimar die Scheidung, welche auch am 17. Mai 1803 ausgesprochen wurde. Karoline reiste mit Schelling nach Schwaben, wo Schelling’s Vater sie am 26. Juni traute. Jetzt war sie in einen sichern Lebenshafen eingelaufen; die Tochter des ordentlichen Professors war die Frau eines ordentlichen Professors geworden; sie folgte dem Gatten nach Würzburg und dann nach München, wohin er als Mitglied der Akademie berufen worden war. Ihre Briefe verriethen von jetzt ab kein intimes Interesse für Literatur mehr; sie sind theils häuslichen, theils politischen Inhalts; nur hin und wieder ward eines alten Freundes gedacht; der Universitätsklatsch spielte die Hauptrolle in ihnen. Auf einer Reise nach Schwaben starb Karoline zu Maulbronn den 7. September 1809.
Ihr abenteuerliches und bewegtes Leben malt sich in ihren Briefen; sie sind merkwürdige Gedenkblätter einer Zeit, in welcher die sittliche Freigeisterei auch in literarischen Kreisen zum guten Ton gehörte. Die Gegenwart hat das Recht, bei voller Anerkennung der hohen geistigen Bedeutung jener Frauen und Männer, ihre Richtung zu verurtheilen; aber wenn der seltene Geist und die gewinnende Liebenswürdigkeit einer hochbegabten Frau dies Urtheil nicht bestechen dürfen, so müssen wir doch „mildernde Umstände“ finden in der gemeinsamen überschwänglichen Begeisterung einer Sturm- und Drangepoche, welche auch für die sittliche Welt neue Grundlagen suchte.
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