Auf dem Kirchhof zu Bocklet

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Ein Beitrag von Paul von Bojanowski aus 1900

Das Thorwaldsensche Grabmal für Auguste Böhmer

Der Kirchhof des kleinen unterfränkischen Badeortes Bocklet bei Kissingen birgt eine Stätte, an der die Gebildeten der Nation nicht gleichgültig vorübergehen können: das Grab der Auguste Böhmer. A. W. Schlegel schildert Dorf und Kirchhof in einem Briefe an Luise Gotter vom 21. August 1800: "Es liegt," schreibt er, "in einem engumschlossenen lachenden Thale, das keine Gräber ankündigt ; hier ruht auf einem- engen und ärmlichen Dorfkirchhofe, der aber frei liegt und von dem man das ganze Thal übersieht, Auguste Böhmer."

Diese hatte kaum das fünfzehnte Jahr vollendet, als sie am 12. Juli 1800 in jenem stillen Dorfe starb, tiefbetrauert von dem Kreise der Romantiker, in deren Mitte sie trotz ihrer Jugend einen eigenartigen, hervorragenden Platz einnimmt. Zunächst schon als die Tochter einer der geistvollsten und berückendsten Frauen der Zeit: Caroline Michaelis, in erster Ehe mit Dr. Böhmer, Bergarzt in ClausthaL verheiratet, später die Gattin A. W. Schlegels. und, nachdem sie im Jahre 1808 von diesem geschieden worden, die Gattin Schellings. Wer in den Bannkreis Carolines trat, konnte sich auch dem eigenen Zauber nicht entziehen, der von der Tochter ausging. In den Briefen jenes Kreises bezeugen Männer und Frauen in gleichem Maße das Interesse, das ihnen die in jeder Wendung ihres vielgestaltigen Wesens anmutvolle Persönlichkeit abgewonnen hatte. Tischbein hat sie im Jahre 1798 oder 1799 gemalt. In dem feinen ausdrucksvollen Gesichtchen liegt mädchenhafte Schüchternheit und schwärmerische Innigkeit, aber man empfindet wohl, daß die niedergeschlagenen Augen in übermütiger Heiterkeit strahlen können, um den Mund ein schalkhaftes Lächeln zu spielen pflegt. Ihre neckische Laune kommt zu heiterem Ausdruck in einem Scherzgedicht, das Auguste im April 1799 an Fr. Schlegel und Ludwig Tieck gerichtet hatte. Freilich, daß die Verfasserin ein vierzehnjähriges Mädchen sei, wird nicht leicht jemand vermuten.

Auguste Böhmer (1785-1800)

Ist das Bild ähnlich? Caroline selbst scheint es nicht so angesehen zu haben, wenigstens tadelt sie später an einer Büste, die Friedrich Tieck von Auguste gemacht, daß er nicht weggenommen, was Tischbein fälschlich hineingebracht habe, »das Niedergesenkte des Geistes«. Aber Auguste wird der Welle geglichen haben, die in raschem Spiele ständig wechselt und in jedem Augenblick, wenn Sonnenschein darüber sich breitet oder Wolke und Wind darüber hinziehen, eine andere Färbung zeigt. Jedenfalls ist dies der Eindruck, den man aus den Brief-en der Romantiker, in denen ihrer so oft gedacht wird, gewinnt.

Im Verkehr mit Friedrich Schlegel scheint sie ein ausgelassener Wildfang gewesen zu sein, sonst wäre der Ton, in dem dieser an sie schreibt, unbegreiflich; aber er sagt selbst in einem Briefe an Caroline: »das liebenswürdige Kind soll immer an mich schreiben, wenn sie toll ist. Ich will’s immer thun, wenn ich vernünftig bin.« Aber anderen gegenüber wird sie auch andere Seiten ihres Wesens zur Geltung gebracht haben, Würde sie sonst auf die Frauen des Kreises, Dorothea Veit, die Gattin Fr. Schlegels, auf Rahel Levin, auf Henriette Mendelssohn einen so ganz ungewöhnlich anziehenden Eindruck haben machen können?

Auguste besaß gute Geistesgaben und großen Drang nach Wissen; die Zwölfjährige trieb mit großem Eifer Griechisch und war auch künstlerisch gut veranlagt, namentlich für Musik und Gesang. Dorothea Veit rühmt die »für ihr Alter seltene und starke »Stimme«. Geläufig war ihr jene allgemeine Bildung, die sich in dem vielseitigen, literarisch so bewegten Leben dieser Kreise einem so lebhaften Geiste von selbst aufdrängen musste. Der Jargon dieser Welt war ihr vollkommen verständlich, und sie weiß auch selbst gut darin zu plaudern, wie jenes bereits erwähnte Gedicht zeigt; noch mehr zeigen es die Briefe Fr. Schlegels an sie; sie strotzen von literarischen Anspielungen, Notizen über Vorkommnisse in der schöngeistigen Welt, die einem vierzehnjährigen Mädchen, das nicht in der Atmosphäre einer Caroline Böhmer, nicht im Verkehr mit den Schlegels und ihrem Kreise ausgewachsen, ein Buch mit sieben Siegeln gewesen wären. ,,Auguste, die schon so viele Menschen, Städte und Sitten gesehen hat, ist ein weiblicher Odysseus,« sagt Fr. Schlegel einmal in einem Briefe aus dem Jahre 1797, in dem er Caroline auffordert, mit Auguste zu ihm nach Berlin zu reisen, und setzt hinzu: »es könnte ein kleiner Beitrag zu der Art von Bildung, die ihr nächst dem Beispiele doch etwas auch der Zufall gegeben hat und die sie so sehr von anderen Mädchen ihres Alters unterscheidet, sein, Berlin zu sehen.« 

Aber ihre geistige Begabung und diese schillernde Bildung genügen nicht, das Reizvolle ihres Wesens zu erklären. Solche Frühreife pflegt meist abstoßend zu wirken, wenn sie nicht neutralisiert wird durch echte unbefangene jugendliche Naivität. Diese muss Auguste Böhmer in seltenem Maße besessen haben und dadurch jener Liebreiz ihres Wesens bewirkt worden sein, dem sich eben niemand entziehen konnte.

Wenn Schlegel meint, sie verdanke die sie auszeichnende Bildung dem Beispiel, so ist das gewiss richtig, aber dies Beispiel war doch auch ein recht bedenkliches. Im genialisch freien Verkehr der Romantiker dachte man nicht daran, auf die zarte Mädchenknospe Rücksicht zu nehmen. Auguste wird von Fr. Schlegel in seinen Briefen eigentlich vom zwölften Jahre an als eine Erwachsene behandelt Und selbst dann noch muss befremdlich erscheinen, wenn er z. B. der Zwölfjährigen schreibt: »Sag nur dem Vater A. W. Schlegel, er müsste notwendig — auch eine Historie schreiben. Ich hätte neulich gelegentlich ausgefunden, dass seines ganze Natur eigentlich historisch wäre. Wenn die Mutter etwa auch wissen will, was sie für eine Natur hat, so sag ihr nur: politisch- erotisch, doch möchte das Erotische überwiegend sein. Ich sehe dir schon an, dass du nun auch deine Natur wissen willst. Du hast aber noch keine, liebes Kind. Sie wächst einem erst später.« Aber vor allem: was sie im eigenen Hause sah, war geeignet, die gefährlichste Wirkung auszuüben auf jede Natur, die nicht im besten Sinne naiv und rein war. Das Verhältnis zwischen Caroline und ihrem Gatten, A. W. Schlegel, war damals schon innerlich völlig gelöst und bestand nur noch äußerlich, während die Beziehungen Carolines zu dem erheblich jüngeren Schelling »sich immer inniger gestalteten und die anfänglich fast mütterliche Empfindung, die sie bisweilen an eine spätere Verbindung Schellings mit Auguste denken ließ, einen wesentlich anderen Charakter annahm. Aber Auguste wandelt auf dem schlüpfrigen Boden heiter und unbefangen dahin, ohne das reine Gewand zu beflecken. In dieser Reinheit liegt der Zauber ihres Wesens, den Henrich Steffens so lebhaft nach ihrem Tode in einem Briefe an Fr. Schlegel schildert: »Ich vermag es nicht zu sagen, was mir, auch mir Augustes Verlust ist - die Herrliche - ich- begreife ihren Tod nicht - so ganz Blüte und nun tot! Sie war mir teurer, als man weiß, als ich mir selbst gestehen will — und alle meine späteren Verirrungen kamen nur daher,-« daß ich sie zuweilen vergessen konnte! — Wenn ich ruhig arbeitete, wenn ich gesund und munter allein nachdachte, was jene mir war — die Quelle meines höheren Lebens, so stund das Kind wie ein heiterer Engel vor mir.« »

Es begreift sich freilich, daß manche, die an dieser leuchtenden Jugend sich erfreuten, doch um ihre Zukunft sorgten. Fr. v. Hardenberg (Novalis) spricht dies deutlich aus, wenn er nach Augustes Tode in einem Briefe an Fr. Schlegel sagt: »Auguste war ein liebes-, schönes Mädchen. Die hellen Farben und der schlanke Wuchs kündigten das frühe Hinscheiden wohl an. Sie wäre sehr reizend geworden. Der Himmel hat sich ihrer angenommen, da die Mutter sie verließ und ihr Vater sie hingab. Eben an der Schwelle der Welt mußte sie umkehren. Sie ist einem trüben Schicksal entgangen und laß ihr uns glückwünschen und uns freuen, daß sie ein reines, jugendliches Andenken von dieser Welt noch mitnahm.« 

Auch der bittere Schmerz ihrer Altersgenossinnen und Freundinnen, der Töchter Tischbeins, um die Verlorene - ,,ich sehe gern diese Thränen fließen,« schreibt Sophie Tischbein an Caroline, »denn sie selbst (Auguste) verdient, daß sie ihrer so gedenken« - ergänzt das Bild von dem anmutigen und liebenswürdigen Geschöpf, »liebenswürdiger und unschuldiger in der That, als bei der Erziehung, die ihr von einer solchen Mutter, in der Verwöhnung, die ihr in einem solchen Kreise zu teil wurde, erwartet werden mag,« bemerkt Haym sehr treffend. Was das Leben aus ihr gemacht hätte - wer will es sagen? Ihr frühzeitiger Tod und die Ursachen, die ihn herbeiführten,· verstärken noch das Sympathische ihrer Erscheinung. Im Frühjahr 1800 war Caroline sehr schwer erkrankt, und Auguste hatte sie mit eigener Aufopferung gepflegt. »Man sagt,« schreibt sie selbst an Luise Gotter, »sie Caroline habe ein paarmal in Lebensgefahr geschwebt, aber dieser Gedanke ist mir zu furchtbar, als daß ich ihn gehabt hätte. Gottlob, es ist nun alle Gefahr vorbei. Heute sind es nun schon vier Wochen, daß sie trank ist, es war eine schreckliche Zeit, ich möchte sie um alles nicht wieder erleben.« 

Zur Kräftigung begab sich Caroline mit Auguste und begleitet von Schelling anfangs Mai 1800 nach Bocklet Zunächst ward in Bamberg ein längerer Aufenthalt genommen. Schelling reiste von da in seine schwäbische Heimat. Auch die Briefe, die jetzt Auguste in Vertretung der durch ihre Schwäche verhinderten Mutter an ihn richtete, bezeugen die kindliche Unbefangenheit mit der sie dem Verhältnis, das sich zwischen jenen entwickelt hatte, gegenüberstand »Ich danke dir« - schreibt sie an Schelling am 4. Juni - ,,wohl sehr für das Mittel, was du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen zu amüsieren, es schlägt herrlich an; wenn ich auch noch so viel Narrenspossen treibe, sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur:· ,Wie sehr er dich liebt-, und sie wird gleich mutig; das erste Mal, als ich es ihr sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr du sie denn liebtest, da war nun meine Weisheit aus, und ich half mir nur geschwind damit, daß ich sagte: mehr als alles; sie war zufrieden, und ich hoffe, du wirst es auch sein.« Die Unbefangenheit dieser Auslassung hat etwas Erquickliches, einige Schatten läßt sie freilich auf das Bild der Mutter fallen. Übrigens zeigt dieser Brief auf das bestimmteste die Unrichtigkeit der Annahme, als« habe Schelling eigentlich Auguste geliebt und sei von ihr auch wieder geliebt worden.

Schon in Bamberg war Auguste erkrankt, angegriffen durch die Pflege der Mutter. Bald nach ihrer Ankunft in Bocklet trat dann ein Ruhranfall ein, dem sie nicht mehr Widerstand zu leisten vermochte.

Wie lebhaft die Schlegel-Schellingschen Kreise durch diesen Tod ergriffen waren, zeigen die bereits mitgeteilten brieflichen Auslassungen. A. W. Schlegel widmete ihr ein tiefempfundenes poetisches Totenopfer im Musenalmanach für 1802. Aber ein anderes Denkmal sollte der so jung Dahingeschiedenen errichtet werden, um ihr Andenken festzuhalten: ein Monument aus ihrem Grabe.

Schon im August wandte sich Schlegel durch Vermittlung Schleiermachers an Schadow mit der Bitte, die Herstellung übernehmen zu wollen. Schadow erklärte sich dazu bereit; gleichzeitig hatte Schlegel auch den Maler und Kunstschriftsteller Johann-Dominicus Fiorillo in Göttingen über Form und Schmuck des Denkmals zu Rate gezogen und dieser einige Abänderungen des ursprünglichen Entwurfes angeregt. Das Denkmal sollte, wie es scheint, in Form einer Urne errichtet werden und entweder auf dem Piedestal in Reliefs oder auf den Seitenflächen der Urne figürliche Kompositionen zeigen, unter anderen den Hades und die Niobe. Dies geht aus einem Briefe Schleiermachers an Schlegel vom 6. Dezember 1800 hervor, in dem er bemerkt, daß Fiorillos Idee, was die Zeichnung des ganzen Monumentes betreffe, Schadow nicht gefalle; dieser finde, es sei von unreinem Geschmack; der Hauptgrund, warum Schlegel von seiner ersten Idee abgegangen,« die Vergrößerung der Figuren, könne ebenso gut durch eine Vergrößerung der ganzen Urne erreicht werden, und dies würde ein weit edleres Kunstwerk sein.

Im Februar 1801 ward Goethe angerufen: die Entwürfe waren bereits Heinrich Meyer übergeben worden, und Schlegel erbat sich von Goethe ’ein Urteil. Dieser trat dem» Gutachten bei, das Meyer abgab. Leider ist uns dieses ebenso wenig wie die Entwürfe selber erhalten. Auch Goethe spricht in einem Briefe an Schlegel vom 28. Februar 1801 seine Ansicht nicht über das Denkmal in seinen Einzelheiten aus, sondern äußert nur im, allgemeinen: »dass ich es für sündlich halte, ein Kunstwerk, das gut und schön werden soll, in ein barbarisches Land unter freiem Himmel zu relegiren, besonders in der jetzigen Zeit, wo man nicht weiß, wem Grund und Boden im nächsten Jahre gehören wird. Wenn es einmal ein Kenotaph werden soll, wenn es erlaubt ist, mit seinen Schmerzen zu spielen, so würde ich raten, Geld und Kunst nicht für Badegäste und Pfaffen, sondern für den Kreis der Familie wirken zu lassen, ich würde raten, ein Paar Urnen, in der Größe, wie man sie in ein Zimmer stellen kann, mit allem Aufwand von Material, Gedanke, Kunst und Technik zu besorgen und sie zu einem wehmütigen Genuss und zu einer bedeutenden Zierde eigener Wohnung aufzustellen. Die eine Urne müsste nur das Lobenswürdige und Hoffnungsvolle der Verschiedenen, die Lieblingsbeschäftigung ihres Lebens darstellen, die andere den Zustand der Nachgelassenen. Ein solcher Gedanke musste mir um so eher einfallen, als ein so geschickter Mann wie Professor Schadow für sie zu arbeiten geneigt ist und wir in unseren Häusern und Besitzungen keineswegs an Kunst so reich sind, dass wir das Gebildete auf die Kreuzwege hinaus drängen müssten«. Goethe mochte in manchen Punkten das Richtige treffen, wenn schon seine eigenen Vorschläge für das Denkmal einen etwas nüchternen Eindruck machen, aber es ist der Kunstfreund, der zu uns redet und dem es auf das Kunstwerk als solches ankommt, nicht der Trauernde, der auch in dem künstlerischen Schmuck des Grabes vor allem an das geliebte Wesen denkt, das er dort bestattet hat. Goethe selbst hatte die Empfindung von dieser Differenz; denn er bemerkt zuletzt: »Verzeihen Sie diese aufrichtige Äußerung Ein jeder hat freilich seine eigene Art, die Dinge dieser Welt anzusehen. Sie werden tun, was Sie nach Ihren eigenen Gesinnungen für das Beste halten« 

Caroline ist denn auch bei aller Verehrung, die sie sonst für Goethe bezeugt, lebhaft erregt und nicht mit Unrecht gekränkt durch seine "ein wenig sonderbare" Antwort. »Barbarisches Land - Kreuzwege - was ich noch von Ländern gesehen habe,« schreibt sie an Schelling den 26. März 1801, ,ist wenigstens ebenso barbarisch gewesen, und ein Denkmal gehört unter den freien Himmel, und wenn wir an einem Kreuzwege eines treffen, so erfreuen wir uns daran. Meinem Gefühle nach hieße das mit seinen Schmerzen spielen, was er vorschlägt; sein herrlicher Saal der Erinnerung im W(ilhelm) M(eister) ist ebenfalls für mich ein solches Spiel. « Ich habe für mich keine weitere Idee bei dem· Monument, als die ich bei einem Kleide gehabt haben würde, das ich so schön wie möglich für das liebe Mädchen während ihres Lebens ausgesucht hätte, um ihre liebliche Gestalt zu schmücken - ich denke nur an ihr Wohlgefallen, wenn sie irgendwo, wenn sie an der friedlichen Stätte, wo sie ruhet, ein solches Denkmal gefunden hätte. Also lass uns dabei bleiben, Meyers Gutachten aber befolgen.« 

Doch zur Ausführung kam die Sache nicht; es ist nicht ersichtlich, warum die Verhandlungen mit Schadow abgebrochen wurden, oder warum man sie einschlafen ließ. Der Gedanke selbst war deshalb nicht aufgegeben. Fast gleichzeitig mit der Anfrage bei Schadow war eine solche auch an den Bildhauer Friedrich Tieck gerichtet worden.

Friedrich Tieck, der sich damals noch in Paris befand und deshalb erst später Von der Anfrage Kenntnis erhalten hatte, erklärte sich im April 1801 bereit zur Übernahme des Auftrages. Schadows Idee eines Piedestals mit einer Urne darauf findet er in einem Briefe an Schelling ,,alt und gemein«; er hätte Lust, die Form der antiken Grabmäler zu wählen und würde »es mit Marmor vertieft verzieren und Menschen und vielleicht andere Verzierungen,« vielleicht aus gebranntem Thon, anbringen.« Im Herbst 1801 traf Tieck von Caroline ungeduldig erwartet, in Weimar-Jena ein, doch verzögerte sich die Inangriffnahme der Arbeit, teils weil der in Weimar beim Schlossbau beschäftigte junge Künstler viel in Anspruch genommen war, teils weil auch jetzt über die Einzelheiten sich Meinungsverschiedenheiten geltend machten. Erst im Mai 1803 waren die Zeichnungen fertig; sie wurden wiederum Goethe vorgelegt, der sich gern bereit erklärte, allen behilflich zu sein und selbst die Inschrift abzufassen, wenn Schelling und Caroline es wünschten. Es liegt indessen von ihm keine Äußerung über die Tieck`schen Pläne, ebenso auch kein Entwurf zu einer Inschrift vor.

Auch wie Tieck das Denkmal sich gedacht, ist nicht bekannt, aus späteren Vorgängen aber ersichtlich, welche Ideen Caroline und Schlegel ausgeführt haben wollten: zu Seiten einer Büste Augustes sollten Basreliefs angebracht sein, in deren einem dargestellt wird, wie sie, ihre Mutter pflegend, vom Tode er- eilt wird. In diesem Sinne wird die Tieck`sche Zeichnung wohl gehalten gewesen sein, aber Caroline wünschte für das mittelste Basrelief in seinem Entwurf eine andere Erfindung. »Es drückt« - schreibt Schelling an Schlegel - »nicht ihre Idee aus, da sie nicht daran denkt, ihren Schmerz auszudrücken, sondern dieses Denkmal nur als den letzten irdischen Schmuck des geliebten Kindes ansieht. Es liegt auch in der That etwas nicht ganz Reines und Schönes in dieser Erzählung und Begebenheit, verglichen mit jener Begebenheit, d. h. wohl mit dem Vorgange in Bocklet.« »

Hierüber ist es allem Anschein nach nicht zu einer Verständigung gekommen. Tieck vollendete 1804 die Büste Augustes; auch diese fand, wie wir schon wissen, Carolines vollen Beifall nicht. Von der weiteren Ausführung des Denkmals ist dann nicht mehr die Rede.

Im Jahre 1811, nach dem Tode Carolines, nahm jedoch Schelling das Projekt eines monumentalen Schmuckes für das Grab auf dem Kirchhofe in Bocklet wieder auf. Er wendete sich diesmal an Thorwaldsen in Rom. Das Denkmal dachte er sich nach einem Briefe an Thorwaldsen vom 25. April 1811 als eine Pyramide oder einen Obelisk, der in einer Nische das Brustbild der Verstorbenen - unter dieser eine Tafel mit Inschrift - und an zwei Seiten allegorische Basreliefs enthalte. Das Hauptbasrelief sollte den oben angegebenen Gedanken, Auguste als Pflegerin der Mutter dem Tode verfallend, darstellen, für das zweite kleinere Basrelief übersandte Schelling eine Zeichnung, leider ohne nähere Angabe über das, was sie enthielt. Thorwaldsen schlug dann einige Veränderung-en vor - welcher Art ist nicht festzustellen -, die unter dem 18. Juli 1811 von Schelling gebilligt wurden. Da Thorwaldsen auch die Herstellung der Büste Augustes übernahm, so schickte ihm Schelling ein Exemplar der Tieck`schen Arbeit mit dem Bemerken, dass das Eigentümliche des Urbildes darin nicht ganz ausgedrückt sei, das Ganze hätte jugendlicher gehalten, graziöser sein müssen. Thorwaldsen vollendete die Arbeit im Jahre 1814. Er schuf ein Basrelief, das in der Sammlung seiner Werke, die Andrea Aquistapace mit Stichen Misserini`s herausgegeben hat (Rom 1831), als ,,Il Destino" bezeichnet ist, unter der Angabe, dass es für eine Famille de Monaer (soll wohl heißen: Monaco (München)) bestimmt sei.

Das Relief gibt in seinem Hauptteil den Gedanken Carolines in einfacher klassischer Form wieder: Auguste reicht der Mutter die Schale mit dem Heilmittel dar; aber während diese Genesung findet, verfällt die Tochter einem jähen Tode, der hier durch eine den Fuß Augustes umringelnde Schlange angedeutet ist. Ein Seitenrelief (links vom Beschauer) zeigt die Nemesis, die auf ihrem Blatte das Ende des Erdendaseins einträgt, ein zweites (rechts) den Todesengel mit der umgekehrten Fackel. Unsere Abbildung auf Seite 515 gibt das Werk wieder. Es ist eine sehr hochgeschätzte Arbeit des dänischen Künstlers, der jedoch bei der Gestalt, die Auguste darstellt, sich zu sehr an die Tieck`sche Büste gehalten zu haben scheint: wenigstens was Schelling an dieser tadelt, dass sie nicht jung und graziös genug gehalten sei, trifft auch für jene Figur zu, die deshalb nicht individuell zu wirken vermag und des jungfräulichen Liebreizes entbehrt, der uns in dem Tischbein`schen Bilde ergreift.

In die Hände Schellings ist auch die Arbeit Thorwaldsens nicht gekommen. Auf dessen Anzeige, das Basrelief läge zur Versendung bereit, antwortete Schelling, indem er einen Teil des Preises zahlte, mit der Bitte, vor dem nächsten Frühjahr nichts abzusenden, ohne einen Grund dafür anzugeben. Die Verzögerung wurde verhängnisvoll. Das Kunstwerk blieb - aus welchen Ursachen, ist unbekannt - in Rom bis nach dem Tode Thorwaldsen`s. Nach Deutschland ist es nie gekommen; es nimmt heute einen hervorragenden Platz im Thorwaldsen-Museum in Kopenhagen ein. « 

Der Grabstein für Auguste Böhmer auf dem Kirchhof zu Bocklet

So ist das Wort Goethes an Schlegel, man solle das dem Andenken Auguste Böhmers gewidmete Kunstwerk nicht unter freiem Himmel relegieren, doch ein Schicksalsspruch geworden. Drei große Künstler, Schadow, Tieck, Thorwaldsen, waren beeifert gewesen, das Grab Augustes zu schmücken, ein Goethe selbst erbot sich, die Inschrift dafür zu verfassen, aber es ist ganz schmucklos geblieben; nur ein schlichter Grabstein hat es jahrelang bedeckt - nicht behütet. Der Kirchhof in Bocklet birgt dies Grab, um das so viel Erinnerungen an große Schriftsteller und große Künstler weben, aber er verbirgt es uns. Denn nicht nur dass es ohne künstlerischen Schmuck blieb, es verfiel auch völliger Vergessenheit und dem trübsten Lose: nach dem Ablauf der Verjährungszeit nahm es die sterblichen Überreste auch anderer auf.

,,Alas, Poor Jorick«! In der Tat, wer philosophierte hier nicht mit Hamlet, da er auf dem Kirchhofe den Totengräber die Schädel aufwerfen sieht, über die Wandlung des Menschen? Zuletzt ward der Grabstein,« der statt Goethischer Worte die einfache Inschrift trägt:

"Hier ruht Auguste Böhmer, geb. 22. April 1785, gest. 12. Juli 1800",

von dem Grabe entfernt und als Kniestein vor einem Kruzifix auf dem Kirchhofe verwendet. So war auch die letzte Spur der Ruhestätte dem Gedächtnis entschwunden, aber die Tatsache selbst nicht der Erinnerung. Dankbar ist es zu begrüßen, dass der Literarhistoriker Prof. Dr. Max Koch in Breslau, als er in Bocklet zur Kur anwesend war, in Verbindung mit dem dortigen Badearzt Dr. Werner, anregte,» dafür Sorge zu tragen, dass nicht ganz verloren gehe, was an dieser Stelle noch von jener reizvollen Jugend berichte. Herr Dr. Werner hat sich mit liebevollem Eifer der Sache angenommen. Die Aufgabe beschränkte sich auf die Erhaltung des Grabsteins Es wurde gestattet, diesen von seinem jetzigen Platze zu entfernen und ihn in die Nähe des Kirchleins auf dem Friedhofe zur linken Seite des Eingangs auf ein dort hergerichtetes Grab zu legen, nachdem er einer Erneuerung durch einen Bildhauer in Kissingen unterzogen worden. Die nötigen Kosten dafür hat die Goethe- Gesellschaft auf Anregung Max Kochs getragen. Noch im Laufe des vergangenen Sommers, gerade hundert Jahre nach dem Tode Augustes, ward die Wiederherstellung des Grabsteins vollendet: nach allen hochfliegenden Entwürfen eine bescheidene Wirklichkeit. Aber dies Denkmal wird doch die Erinnerung dort festhalten und vielleicht manchen, der jenen Kirchhof betritt, veranlassen, eine Blume niederzulegen, ,,Sweets to the sweet«, um mit der Königin am Grabe Opheliens zu sprechen.

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