Autographen des Dr. med. Friedrich Wilhelm Josias Jacobs an Unbekannt: Unterschied zwischen den Versionen

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Gotha 29. Aug. 1817
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Recht lange hat die Geschichte geschwiegen, nämlich 6 Tage. Morgen reißt Fanny<ref>Wahrscheinlich die Schauspielerin Fanny, eigentlich Franziska CASPERS, 1787-1835, aus der Gothaer Zeit lebenslange Freundin der Goethe-Malerin Louise SEIDLER, die sie auch portraitiert hat; letztere war eine Cousine des Briefschreibers</ref>
 
Recht lange hat die Geschichte geschwiegen, nämlich 6 Tage. Morgen reißt Fanny<ref>Wahrscheinlich die Schauspielerin Fanny, eigentlich Franziska CASPERS, 1787-1835, aus der Gothaer Zeit lebenslange Freundin der Goethe-Malerin Louise SEIDLER, die sie auch portraitiert hat; letztere war eine Cousine des Briefschreibers</ref>
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Ich glaube kaum das ein Chirurg wie er noch existirt, mit so viel
 
Ich glaube kaum das ein Chirurg wie er noch existirt, mit so viel
 
allgemeinen Ansichten, und so scharfen medicinischen Urtheilen.
 
allgemeinen Ansichten, und so scharfen medicinischen Urtheilen.
Die Abhandlung über Augenentzündungen<ref>Ph. Fr. WALTHER, Ueber die Augenentzündung, ihr Wesen und ihre Formen, in: Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Medicin besonders der Augenheilkunde, 1. Band, Landshut 1810, S. 359</ref> u. die üb. Bildung der catarracte<ref>Ders., Ueber die Krankheiten der Crystallinse, und die Bildung des Staares, a. a. O., S. 1</ref>
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Die Abhandlung über Augenentzündungen<ref>Ph. Fr. WALTHER, Ueber die Augenentzündung, ihr Wesen und ihre Formen, in: Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Medicin besonders der Augenheilkunde, 1. Band, Landshut 1810, S. 359</ref> u. die üb. Bildung der catarracte<ref>Ders., Ueber die Krankheiten der Crystallinse, und die Bildung des Staares, a. a. O., S. 1</ref>empfehle ich Dir besonders.
empfehle ich Dir besonders.
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==Non la conobbe 'l mondo mentre l'ebbe
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Conobbi'l io ch'a pianger quì rimasiPetr<ref>Petrarca, aus 293. Sonett: „Nicht kannte sie die Welt in ihren Tagen / Nur ich, der, um zu jammern, hier geblieben“; Friedrich Wilhelm Josias Jacobs (1793-1833) hat mehrere Gedichte und Sonette verfasst, oft zusammen mit seinem Freunde, dem Fabeldichter und Pastor Johann Wilhelm HEY („Alle Jahre wieder kommt das Christuskind . . .“)</ref>.==
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====Rückfall====
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O Frühlingsluft, o freudiges Erstehen,
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Am warmen Sonnenstrahl im Himmelblauen.
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Du frisches Grün, krystallnes Niederthauen
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Ach mußtet ihr, uns kaum genaht vergehen ?
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Der Sturm erwacht, mit ungestümen Wehen
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Stürzt eis'ge Flut auf die erschroknen Auen,
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Der Frühling flieht und siegreich kehrt mit rauhen
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Gewalt'gen Schritt der Winter von den Höhen.
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Die Rosen, die mit milden Frühlingslüften
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Auf's neu entsproßten Ihren bleichen Wangen
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Als Sie gewandelt in den frischen Düften:
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Sie müßen alle in dem Sturm erbleichen,
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Die schwache Brust hält düstern Schmerz umfangen,
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daß aller Hoffnung Bilder fern entweichen.
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====Tod====
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Wie lächlen freundlich ihre bleichen Wangen,
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Wie ruh'n so sanft die aufgelößten Glieder !
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Wann öffnen sich die bleichen Lippen wieder
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Die Freude kündend die ihr Herz umfangen ?
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Wohl ist es jetzt von höh'rer Lust umfangen,
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Es hebt die Brust nicht schmerzlich auf und nieder,
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Und nie entsteigen ihr die zarten Lieder
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Die einst zum Leben regten neu Verlangen.
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Im braunen Haar, in zartgewunden Flechten
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Ruht bräutlich still der schöne Myrtenkranz,
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Der sie entrückt der Erde dunklen Mächten:
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Und herrlicher als je die schönsten Träume
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Die Erde Ihr gezeigt im Frühlingsglanz
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Umfangen Sie des Himmels heil'ge Räume.-
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===Gotha d 9 Oct 1817.===
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Wie sehr hat mich Dein lieber Brief erfreut, Du theurer, den ersten den ich seit
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so langer Zeit von meinen saumseligen Freunden erhielt; wie lebhaft erinnern
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mich diese Tage an die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten<ref>Würzburg, das JACOBS im Okt. 1816 verlässt, um nach München zu gehen. Am 30. Nov. 1816 kommt er in Wien an, wo er sich fast ein Jahr aufhält und kehrt also Ende 1817 nach Gotha zurück, wo er seine ärztliche Tätigkeit aufnimmt (s. Martin RUDOLPH, „Societas Philologica Gottingensis. Christian Carl Josias Bunsen und sein Göttinger Freundeskreis 1809 / 1815.“, SS. 59-160, über den Briefschreiber S. 131f und 153f, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bände 46-47, Hildesheim 1975)</ref>. Damals
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lebte die gute A. noch, und den 6 t war es wo ich sie kennen lernte. Wie oft
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sehne ich mich zu euch zurück, bes. zu Dir; die freie Mittheilung fehlt mir hier so
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sehr in ärztlichen Dingen; Dr. Buddeus,<ref>Dr. med. Ernst Friedrich Wilhelm BUDDEUS, 1783-1861, prakt. Arzt, Reg.- und Ober-Medizinalrat und Stadtphysikus zu Gotha, Mitglied der Herzogl. Landes-Regierung, Mitbegründer der Gothaer Versicherung (sein Bild in der Gruppe der Sieben Weisen Alt-Gothas, gez. v. Emil JACOBS); er behandelte die 1822 ausgebrochene Epilepsie des Briefschreibers</ref> u. Hofrath Ruppius<ref>Dr. med. Johann Carl RUPPIUS, 1786-1866, Hofrat und Leibarzt zu Gotha. Nach dem Frieden von 1815 ließ sich Ruppius in Gotha nieder, wo er die Anatomisch-Chirurgische Lehranstalt leitete und dort auch Vorlesungen in Anatomie hielt; er war verheiratet mit der Musikerin Caroline geb. SCHLICK, * Gotha 1789, die die Herzogl. Hofmusiken veranstaltete; sie war eine Tochter des deutsch-italienischen Musiker-Ehepaars Schlick/Strinasacchi, und wird in den (im Familienarchiv Jacobs verwahrten) Brautbriefen der Schwester Marie Gabriele Jacobs des Briefschreibers öfters erwähnt.</ref> sind diejenigen die s.
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meiner annehmen, aber es läßt sich doch manches nicht gegen sie sagen, was ich
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Dir gern sagte. Noch bin ich nicht examinirt, doch prakticire ich so hin und wieder;
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da es aber fast gar keine Kranken giebt, so kömmt fast nichts vor als böse Finger,
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von denen mich einer recht . . . , von meiner Cusine, die e. Geschwür unter
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dem Nagel des Daumens hat, ich werde es doch noch öffnen müssen, vielleicht
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heute, und davor graut mir, mir thut es weher als ihr. Um den untern Nagel=
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rand, war eine . . . starke schmerzhafte Geschwulst, in der ich ganz gewiß
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Eiter zu fühlen glaubte, ich stach ein, es kam aber ein großer Strom schwarzen
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Blutes, das ich, bey der großen Vollblütigkeit des Mädchens, eine Zeit lang fort=
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fließen ließ, daß in 3 Minuten gegen 5 Uz ausfloßen, es stand bald d. aufgelegte
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Charpie. - Mit dem Finger geht es beßer die Eiterung ist gut, den Abseß unter dem
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Nagel öffnete ich mit der Schere nachdem jener vorher dünn geschabt worden.
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Wie mahnte mich dieser Sontagsmorgen an die göttingischen im letzten Winter !
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Schnee liegt auf den Dächern wie damals, aber wenn ich hinaus sehe a. dem Fenster, sehe ich
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nur auf Dächer und eine öde Straße; damals konnte ich die Augen nicht aufschlagen
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ohne daß sie auf die Nachbarinnen fielen die hinter dem klaren Fenster geschäftig waren;
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so viele Träume einer schönen Zukunft stiegen auf und ab, so viele Bilder glüklicher
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Tage die noch kommen sollten beschäftigten die Phantasie, und jetzt sind es wieder die
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Träume der Vergangenheit die mich mit einer schmerzlichen Freude erfüllen. Du
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siehst, ich habe noch nicht vergeßen, noch immer treibt mich eine gewaltige Sehnsucht
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immer mehr nach Norden und als ich vor einem Jahre im Süden war, war ich doch nicht
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ferner als jetzt. Alle Nachrichten schweigen von diesen Teutonionen [?], denn Haxthausen<ref>August Franz Frhr. v. HAXTHAUSEN, 1792-1866, war Agrarwissenschaftler, Nationalökonom, Jurist, Landwirt und Schriftsteller sowie Volksliedersammler, er studierte 1815-1818 in Göttingen</ref>
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schreibt gar nicht mehr Haßenpflug<ref>Wohl Ludwig HASSENPFLUG, 1794-1862, Jurist, kurhessischer Minister, studierte 1812-16 in Göttingen; heiratete eine Schwester der Gebr. GRIMM; verfasste Jugenderinnerungen 1794-1821, Bd. 4 von Quellen zur Brüder Grimm-Forschung, hg. v. Klaus Hassenpflug</ref> auch nicht. - Haxthausen giebt jetzt in
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Gesellschaft mit dem Hornpeter (Peter von Hornthal<ref>Johann Peter von HORNTHAL, 1794-1864, Jurist, Politiker u. Schriftsteller; gibt 1818 zusammen mit Heinrich STRAUBE (1794-1847) die romantische Literaturzeitschrift Die Wünschelruthe heraus.</ref>) ein periodisches Blatt heraus
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das den Namen der Wünschelruthe<ref>DIE WÜNSCHELRUTHE war eine Göttinger Zeitschrift der Spätromantik. Sie erschien von Januar bis Juni 1818 zweimal wöchentlich mit dem Untertitel „Ein Zeitblatt“ bei Vandenhoeck & Ruprecht.
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https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:W%C3%BCnschelruthe#/media/File:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_p_01.jpg</ref> führt, und hat Hey<ref>Johann Wilhelm HEY, 1789-1854, D. theol. h. c., 1814-1818 Lehrer Gotha, dann Pfr. zu Töttelstedt, 1827 Hofprediger zu Gotha, 1832 Superintendent von Ichtershausen, der Fabeldichter, Freund des Briefschreibers, Mitglied der Societas Philologica Gottingensis</ref> u mich zum Mitarbeiten
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eingeladen. Die ersten 3 Probeblätter (den 1ten Jan 1818 fängt es an) enthalten aber
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blutwenig edles Metall, bes. ist eine Erzählung von dem verrükten Straube<ref>Heinrich STRAUBE, 1794-1847, Oberappellationsgerichtsrat zu Kassel, Student der Rechte zu Göttingen, zu ihm hatte 1819 die Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff ein Liebesverhältnis, ihre Mutter war eine geb. v. HAXTHAUSEN (http://www.arnswald.de/droste-huelshoff.html)</ref>
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pures Katzengold. Es ist merkwürdig, daß dergleichen gerade in Göttingen
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herauskommen kann, wo doch der alte Verstand zu Hause ist; freilich scheint
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er nach und nach dergestalt an Altersschwäche, ja an Marasmus zu leiden,
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daß die Kinder mit ihm Hutzeputz spielen, von Kritik haben die Herausgeber
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keine Jdee. Haxthausen hat mehrere Volkslieder hineinrüken laßen, die noch
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das beste sind. Neugierig bin ich ob es wohl ein Vierteljahr sich halten wird. Einige
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unsinnige Lieder will ich ihnen schicken, vielleicht sind sie unsinnig genug
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um der Gesellschaft würdig zu seyn.- Man erzählte mir Haxthausen habe
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in G. ein Buch druken laßen (worüber wußte niemand) es habe aber die
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Censur nicht paßirt, sey aber doch ausgetheilt worden; ich möchte wißen ob es
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des Unsinns wegen, oder wegen poltischer oder sonstiger anderer Anstände
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Fest auf der Wartburg, 800 Studenten sind angekündigt um das Refor=
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mationsfest und die Schlacht bei Leipzig zu feyern, auch sollen Verhandlungen
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über die Allgemeine Verfaßung der Universitäten vorgenommen werden.<ref>Das erste Wartburgfest, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Wartburgfest</ref>
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Der Herzog von Weimar hat befohlen ihnen allen Vorschub zu thun und
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hat 40 Klafter Holz zu einem Freudenfeuer anweisen laßen. Von
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Hannover ist ein sehr ängstliches Schreiben an die Regierung in Weimar
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ergangen, ob man auch von dem Vorhaben unterrichtet sey, ob nicht
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politische geheime Zwecke dahinter stehen könnten ? Wenn sie erst
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von der Hofrathsverschwörung wüßten wo Warrnkönig,<ref>Gemeint ist Leopold August WARNKÖNIG, 1794-1866, Jurist, geht 1817 an die Univ. Lüttich</ref> der jetzt in
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Holland angestellt ist, Rädelsführer war ! Der Herzog hat sehr über diese
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Besorgnisse gelacht, u. gemeint er könne doch die Leute nicht wegjagen,

Version vom 18. Juli 2019, 18:17 Uhr

Autographen des Dr. med. Friedrich Wilhelm Josias JACOBS[1] an Unbekannt nach einer Kopie aus dem Literatur-Archiv Marbach [Signatur: B. Jacobs, Friedrich (1793-1833)] erhalten im August 2015, Transkription und Ermittlung des Adressaten Dr. med. Detmar Wilhelm SÖEMMERRING[2] durch Pastor Rudolf W. L. Jacobs, Unna ARCHIV DER SCHLESWIG-THUERINGISCHEN FAMILIE JACOBS http://blog.familienarchiv-jacobs.de/Deutsches Geschlechterbuch Bd. 214, S. 267-946 Werkverzeichnis Gothaer Hofmaler Paul Emil Jacobs


Gotha 29. Aug. 1817

Recht lange hat die Geschichte geschwiegen, nämlich 6 Tage. Morgen reißt Fanny[3] ab, da wird es wieder recht tod; ich lebe aber in der Hoffnung Lücken, Seuffert und Merk [?] bald hier zu sehn; Lücke kann alle Tage kommen, gestern war sein Geburtstag[4]. Meine Kr. habe ich als geheilt entlassen, d. h. der Junge ist gesund bis auf den Kartoffelbauch und den Grindkopf, das Mädchen noch etwas schlechter als vorher. Ich weiß aber kaum selber was ich mit dem Balg anfangen soll; wären die Leute reicher ich gäbe ihm . . . , . . . od. dergl. so laße ich es gehn, ich begnügte mich mit einem schönen Dank, und dafür tragen mich die Leute lobpreisend in der Stadt umher. Ich seh es noch immer als ein gutes Omen an, daß der erste wenigstens so weit hergestellt ist, er konnte mir ja eben so gut abfahren. Nächstens hoffe ich eine Staaroperation zu machen. Einer Frau, die ich schon bestellt hatte, dauerten die Anstalten zu lang da sie hier im Krankenhaus operirt werden sollte, sie gieng mir daher durch, mir ist es recht fatal, gerade eine recht reine Linsencatarrakte, ganz ohne alle Complicationen bey Verlust der menstruation im 50ten Jahr entstanden, kurz man konnte sich's nicht beßer wünschen, und Du weißt wie viel vernünftiger sich bey dergl. eine Frau beträgt, als ein Mann. - Wie steht es denn mit Deiner Dißertation ?[5] Hoffentlich ist sie bald fertig ich freue mich recht sehr darauf; überhpt schreibe mir doch was Du so treibst, wenn Deines Vater Sammlung[6] in Ordnung ist, so wirst Du ja wohl noch eine Exkursion machen. Wäre ich an deiner Stelle, ich thäte den Bayern den Gefallen und gienge ein paar Monat nach Landshut, bloß wegen Walther[7], es thut mir herzlich leid seine Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. Seine Abhandlungen auf dem Gebiete der Chirurgie haben mich sehr begierig gemacht ihn kennen zu lernen. Ich glaube kaum das ein Chirurg wie er noch existirt, mit so viel allgemeinen Ansichten, und so scharfen medicinischen Urtheilen. Die Abhandlung über Augenentzündungen[8] u. die üb. Bildung der catarracte[9]empfehle ich Dir besonders.

==Non la conobbe 'l mondo mentre l'ebbe Conobbi'l io ch'a pianger quì rimasiPetr[10].==

Rückfall

O Frühlingsluft, o freudiges Erstehen, Am warmen Sonnenstrahl im Himmelblauen. Du frisches Grün, krystallnes Niederthauen Ach mußtet ihr, uns kaum genaht vergehen ?

Der Sturm erwacht, mit ungestümen Wehen Stürzt eis'ge Flut auf die erschroknen Auen, Der Frühling flieht und siegreich kehrt mit rauhen Gewalt'gen Schritt der Winter von den Höhen.

Die Rosen, die mit milden Frühlingslüften Auf's neu entsproßten Ihren bleichen Wangen Als Sie gewandelt in den frischen Düften:

Sie müßen alle in dem Sturm erbleichen, Die schwache Brust hält düstern Schmerz umfangen, daß aller Hoffnung Bilder fern entweichen.

Tod

Wie lächlen freundlich ihre bleichen Wangen, Wie ruh'n so sanft die aufgelößten Glieder ! Wann öffnen sich die bleichen Lippen wieder Die Freude kündend die ihr Herz umfangen ?

Wohl ist es jetzt von höh'rer Lust umfangen, Es hebt die Brust nicht schmerzlich auf und nieder, Und nie entsteigen ihr die zarten Lieder Die einst zum Leben regten neu Verlangen.

Im braunen Haar, in zartgewunden Flechten Ruht bräutlich still der schöne Myrtenkranz, Der sie entrückt der Erde dunklen Mächten:

Und herrlicher als je die schönsten Träume Die Erde Ihr gezeigt im Frühlingsglanz Umfangen Sie des Himmels heil'ge Räume.-


Gotha d 9 Oct 1817.

Wie sehr hat mich Dein lieber Brief erfreut, Du theurer, den ersten den ich seit so langer Zeit von meinen saumseligen Freunden erhielt; wie lebhaft erinnern mich diese Tage an die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten[11]. Damals lebte die gute A. noch, und den 6 t war es wo ich sie kennen lernte. Wie oft sehne ich mich zu euch zurück, bes. zu Dir; die freie Mittheilung fehlt mir hier so sehr in ärztlichen Dingen; Dr. Buddeus,[12] u. Hofrath Ruppius[13] sind diejenigen die s. meiner annehmen, aber es läßt sich doch manches nicht gegen sie sagen, was ich Dir gern sagte. Noch bin ich nicht examinirt, doch prakticire ich so hin und wieder; da es aber fast gar keine Kranken giebt, so kömmt fast nichts vor als böse Finger, von denen mich einer recht . . . , von meiner Cusine, die e. Geschwür unter dem Nagel des Daumens hat, ich werde es doch noch öffnen müssen, vielleicht heute, und davor graut mir, mir thut es weher als ihr. Um den untern Nagel= rand, war eine . . . starke schmerzhafte Geschwulst, in der ich ganz gewiß Eiter zu fühlen glaubte, ich stach ein, es kam aber ein großer Strom schwarzen Blutes, das ich, bey der großen Vollblütigkeit des Mädchens, eine Zeit lang fort= fließen ließ, daß in 3 Minuten gegen 5 Uz ausfloßen, es stand bald d. aufgelegte Charpie. - Mit dem Finger geht es beßer die Eiterung ist gut, den Abseß unter dem Nagel öffnete ich mit der Schere nachdem jener vorher dünn geschabt worden.


d.12 ten

Wie mahnte mich dieser Sontagsmorgen an die göttingischen im letzten Winter ! Schnee liegt auf den Dächern wie damals, aber wenn ich hinaus sehe a. dem Fenster, sehe ich nur auf Dächer und eine öde Straße; damals konnte ich die Augen nicht aufschlagen ohne daß sie auf die Nachbarinnen fielen die hinter dem klaren Fenster geschäftig waren; so viele Träume einer schönen Zukunft stiegen auf und ab, so viele Bilder glüklicher Tage die noch kommen sollten beschäftigten die Phantasie, und jetzt sind es wieder die Träume der Vergangenheit die mich mit einer schmerzlichen Freude erfüllen. Du siehst, ich habe noch nicht vergeßen, noch immer treibt mich eine gewaltige Sehnsucht immer mehr nach Norden und als ich vor einem Jahre im Süden war, war ich doch nicht ferner als jetzt. Alle Nachrichten schweigen von diesen Teutonionen [?], denn Haxthausen[14] schreibt gar nicht mehr Haßenpflug[15] auch nicht. - Haxthausen giebt jetzt in Gesellschaft mit dem Hornpeter (Peter von Hornthal[16]) ein periodisches Blatt heraus das den Namen der Wünschelruthe[17] führt, und hat Hey[18] u mich zum Mitarbeiten eingeladen. Die ersten 3 Probeblätter (den 1ten Jan 1818 fängt es an) enthalten aber blutwenig edles Metall, bes. ist eine Erzählung von dem verrükten Straube[19] pures Katzengold. Es ist merkwürdig, daß dergleichen gerade in Göttingen herauskommen kann, wo doch der alte Verstand zu Hause ist; freilich scheint er nach und nach dergestalt an Altersschwäche, ja an Marasmus zu leiden, daß die Kinder mit ihm Hutzeputz spielen, von Kritik haben die Herausgeber keine Jdee. Haxthausen hat mehrere Volkslieder hineinrüken laßen, die noch das beste sind. Neugierig bin ich ob es wohl ein Vierteljahr sich halten wird. Einige unsinnige Lieder will ich ihnen schicken, vielleicht sind sie unsinnig genug um der Gesellschaft würdig zu seyn.- Man erzählte mir Haxthausen habe in G. ein Buch druken laßen (worüber wußte niemand) es habe aber die Censur nicht paßirt, sey aber doch ausgetheilt worden; ich möchte wißen ob es des Unsinns wegen, oder wegen poltischer oder sonstiger anderer Anstände willen verboten wurde, ich hoffe auf Nachricht darüber. - Den 18ten ist großes Fest auf der Wartburg, 800 Studenten sind angekündigt um das Refor= mationsfest und die Schlacht bei Leipzig zu feyern, auch sollen Verhandlungen über die Allgemeine Verfaßung der Universitäten vorgenommen werden.[20] Der Herzog von Weimar hat befohlen ihnen allen Vorschub zu thun und hat 40 Klafter Holz zu einem Freudenfeuer anweisen laßen. Von Hannover ist ein sehr ängstliches Schreiben an die Regierung in Weimar ergangen, ob man auch von dem Vorhaben unterrichtet sey, ob nicht politische geheime Zwecke dahinter stehen könnten ? Wenn sie erst von der Hofrathsverschwörung wüßten wo Warrnkönig,[21] der jetzt in Holland angestellt ist, Rädelsführer war ! Der Herzog hat sehr über diese

Besorgnisse gelacht, u. gemeint er könne doch die Leute nicht wegjagen,

  1. Zu Friedrich Wilhelm Josias JACOBS, 1793-1833, s. Dt. Geschlechterbuch, Bd. 214, Limburg 2002, S. 492f und https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Josias_Jacobs
  2. Zu Detmar Wilhelm SOEMMERRING: https://de.wikipedia.org/wiki/Detmar_Wilhelm_Soemmerring
  3. Wahrscheinlich die Schauspielerin Fanny, eigentlich Franziska CASPERS, 1787-1835, aus der Gothaer Zeit lebenslange Freundin der Goethe-Malerin Louise SEIDLER, die sie auch portraitiert hat; letztere war eine Cousine des Briefschreibers
  4. Demnach wäre Friedrich Lücke am 28. August geboren, in Wirklichkeit ist er am 24. August 1791 in Egeln /Elbe geboren. Wikipedia bringt fälschlich den 24. Juli; zu LÜCKE u. SEUFFERT vgl. Anm. 25 bzw. 26
  5. Detmar Wilhelm SOEMMERRING, 1793-1871, verfasste in Göttingen 1816 seine Promotion über die Anatomie des Auges unter dem Titel: „De oculorum hominis animaliumque sectione horizontali commentatio.“, Göttingen 1818
  6. Der Vater von Detmar Wilhelm SOEMMERRING, Prof. Dr. med. Samuel Thomas von SOEMMERRING, 1755-1830, damals seit 1805 in München, war ein begeisterter Sammler von anatomischen Präparaten etc; nach abgeschlossenem Studium hielt sich Detmar bis 1819 einige Zeit bei seinem Vater in München auf und veröffentlichte dort zwei wissenschaftliche Abhandlungen. Wahrscheinlich ist während dieser Zeit auch sein Portrait von STIELER entstanden.
  7. Philipp Franz von WALTHER, 1782-1849, wurde 1804 nach Landshut als Professor für Physiologie, später auch für Chirurgie berufen und gewann hier großes Ansehen als Chirurg und Augenarzt, 1818 nach Bonn, 1830 München.
  8. Ph. Fr. WALTHER, Ueber die Augenentzündung, ihr Wesen und ihre Formen, in: Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Medicin besonders der Augenheilkunde, 1. Band, Landshut 1810, S. 359
  9. Ders., Ueber die Krankheiten der Crystallinse, und die Bildung des Staares, a. a. O., S. 1
  10. Petrarca, aus 293. Sonett: „Nicht kannte sie die Welt in ihren Tagen / Nur ich, der, um zu jammern, hier geblieben“; Friedrich Wilhelm Josias Jacobs (1793-1833) hat mehrere Gedichte und Sonette verfasst, oft zusammen mit seinem Freunde, dem Fabeldichter und Pastor Johann Wilhelm HEY („Alle Jahre wieder kommt das Christuskind . . .“)
  11. Würzburg, das JACOBS im Okt. 1816 verlässt, um nach München zu gehen. Am 30. Nov. 1816 kommt er in Wien an, wo er sich fast ein Jahr aufhält und kehrt also Ende 1817 nach Gotha zurück, wo er seine ärztliche Tätigkeit aufnimmt (s. Martin RUDOLPH, „Societas Philologica Gottingensis. Christian Carl Josias Bunsen und sein Göttinger Freundeskreis 1809 / 1815.“, SS. 59-160, über den Briefschreiber S. 131f und 153f, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bände 46-47, Hildesheim 1975)
  12. Dr. med. Ernst Friedrich Wilhelm BUDDEUS, 1783-1861, prakt. Arzt, Reg.- und Ober-Medizinalrat und Stadtphysikus zu Gotha, Mitglied der Herzogl. Landes-Regierung, Mitbegründer der Gothaer Versicherung (sein Bild in der Gruppe der Sieben Weisen Alt-Gothas, gez. v. Emil JACOBS); er behandelte die 1822 ausgebrochene Epilepsie des Briefschreibers
  13. Dr. med. Johann Carl RUPPIUS, 1786-1866, Hofrat und Leibarzt zu Gotha. Nach dem Frieden von 1815 ließ sich Ruppius in Gotha nieder, wo er die Anatomisch-Chirurgische Lehranstalt leitete und dort auch Vorlesungen in Anatomie hielt; er war verheiratet mit der Musikerin Caroline geb. SCHLICK, * Gotha 1789, die die Herzogl. Hofmusiken veranstaltete; sie war eine Tochter des deutsch-italienischen Musiker-Ehepaars Schlick/Strinasacchi, und wird in den (im Familienarchiv Jacobs verwahrten) Brautbriefen der Schwester Marie Gabriele Jacobs des Briefschreibers öfters erwähnt.
  14. August Franz Frhr. v. HAXTHAUSEN, 1792-1866, war Agrarwissenschaftler, Nationalökonom, Jurist, Landwirt und Schriftsteller sowie Volksliedersammler, er studierte 1815-1818 in Göttingen
  15. Wohl Ludwig HASSENPFLUG, 1794-1862, Jurist, kurhessischer Minister, studierte 1812-16 in Göttingen; heiratete eine Schwester der Gebr. GRIMM; verfasste Jugenderinnerungen 1794-1821, Bd. 4 von Quellen zur Brüder Grimm-Forschung, hg. v. Klaus Hassenpflug
  16. Johann Peter von HORNTHAL, 1794-1864, Jurist, Politiker u. Schriftsteller; gibt 1818 zusammen mit Heinrich STRAUBE (1794-1847) die romantische Literaturzeitschrift Die Wünschelruthe heraus.
  17. DIE WÜNSCHELRUTHE war eine Göttinger Zeitschrift der Spätromantik. Sie erschien von Januar bis Juni 1818 zweimal wöchentlich mit dem Untertitel „Ein Zeitblatt“ bei Vandenhoeck & Ruprecht. https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:W%C3%BCnschelruthe#/media/File:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_p_01.jpg
  18. Johann Wilhelm HEY, 1789-1854, D. theol. h. c., 1814-1818 Lehrer Gotha, dann Pfr. zu Töttelstedt, 1827 Hofprediger zu Gotha, 1832 Superintendent von Ichtershausen, der Fabeldichter, Freund des Briefschreibers, Mitglied der Societas Philologica Gottingensis
  19. Heinrich STRAUBE, 1794-1847, Oberappellationsgerichtsrat zu Kassel, Student der Rechte zu Göttingen, zu ihm hatte 1819 die Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff ein Liebesverhältnis, ihre Mutter war eine geb. v. HAXTHAUSEN (http://www.arnswald.de/droste-huelshoff.html)
  20. Das erste Wartburgfest, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Wartburgfest
  21. Gemeint ist Leopold August WARNKÖNIG, 1794-1866, Jurist, geht 1817 an die Univ. Lüttich