Autographen des Dr. med. Friedrich Wilhelm Josias Jacobs an Unbekannt: Unterschied zwischen den Versionen

Aus www.gotha-wiki.org/
Zur Navigation springen Zur Suche springen
(Tod)
 
(16 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
 +
Ein Aufsatz von Rudolf W.L Jacobs
 
====Autographen des Dr. med. Friedrich Wilhelm Josias JACOBS<ref>Zu Friedrich Wilhelm Josias JACOBS, 1793-1833, s. Dt. Geschlechterbuch, Bd. 214, Limburg 2002, S. 492f und https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Josias_Jacobs</ref> an Unbekannt====
 
====Autographen des Dr. med. Friedrich Wilhelm Josias JACOBS<ref>Zu Friedrich Wilhelm Josias JACOBS, 1793-1833, s. Dt. Geschlechterbuch, Bd. 214, Limburg 2002, S. 492f und https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Josias_Jacobs</ref> an Unbekannt====
 
nach einer Kopie aus dem Literatur-Archiv Marbach
 
nach einer Kopie aus dem Literatur-Archiv Marbach
Zeile 10: Zeile 11:
  
  
===Gotha 29. Aug. 1817===
+
===''Gotha 29. Aug. 1817''===
  
Recht lange hat die Geschichte geschwiegen, nämlich 6 Tage. Morgen reißt Fanny<ref>Wahrscheinlich die Schauspielerin Fanny, eigentlich Franziska CASPERS, 1787-1835, aus der Gothaer Zeit lebenslange Freundin der Goethe-Malerin Louise SEIDLER, die sie auch portraitiert hat; letztere war eine Cousine des Briefschreibers</ref>
+
''Recht lange hat die Geschichte geschwiegen, nämlich 6 Tage. Morgen reißt Fanny<ref>Wahrscheinlich die Schauspielerin Fanny, eigentlich Franziska CASPERS, 1787-1835, aus der Gothaer Zeit lebenslange Freundin der Goethe-Malerin Louise SEIDLER, die sie auch portraitiert hat; letztere war eine Cousine des Briefschreibers</ref> ab, da wird es wieder recht tod; ich lebe aber in der Hoffnung Lücken, Seuffert und Merk [?] bald hier zu sehn; Lücke kann alle Tage kommen, gestern war sein Geburtstag<ref>Demnach wäre Friedrich Lücke am 28. August geboren, in Wirklichkeit ist er am 24. August 1791 in Egeln /Elbe geboren. Wikipedia bringt fälschlich den 24. Juli; zu LÜCKE u. SEUFFERT vgl. Anm. 25 bzw. 26</ref>. Meine Kr. habe ich als geheilt entlassen, d. h. der Junge ist gesund bis auf den Kartoffelbauch und den Grindkopf, das Mädchen noch etwas schlechter als vorher. Ich weiß aber kaum selber was ich mit dem Balg anfangen soll; wären die Leute reicher ich gäbe ihm . . . , . . . od. dergl. so laße ich es gehn, ich begnügte mich mit einem schönen Dank, und dafür tragen mich die Leute lobpreisend in der Stadt umher. Ich seh es noch immer als ein gutes Omen an, daß der erste wenigstens so weit hergestellt ist, er konnte mir ja eben so gut abfahren. Nächstens hoffe ich eine Staaroperation zu machen. Einer Frau, die ich schon bestellt hatte, dauerten die Anstalten zu lang da sie hier im Krankenhaus operirt werden sollte, sie gieng mir daher durch, mir ist es recht fatal, gerade eine recht reine Linsencatarrakte, ganz ohne alle Complicationen bey Verlust der menstruation im 50ten Jahr entstanden, kurz man konnte sich's nicht beßer wünschen, und Du weißt wie viel vernünftiger sich bey dergl. eine Frau beträgt, als ein Mann. - Wie steht es denn mit Deiner Dißertation ?<ref>Detmar Wilhelm SOEMMERRING, 1793-1871, verfasste in Göttingen 1816 seine Promotion über die Anatomie des Auges unter dem Titel: „De oculorum hominis animaliumque sectione horizontali commentatio.“, Göttingen 1818</ref> Hoffentlich ist sie bald fertig ich freue mich recht sehr darauf; überhpt schreibe mir doch was Du so treibst, wenn Deines Vater Sammlung<ref>Der Vater von Detmar Wilhelm SOEMMERRING, Prof. Dr. med. Samuel Thomas von SOEMMERRING, 1755-1830, damals seit 1805 in München, war ein begeisterter Sammler von anatomischen Präparaten etc; nach abgeschlossenem Studium hielt sich Detmar bis 1819 einige Zeit bei seinem Vater in München auf und veröffentlichte dort zwei wissenschaftliche Abhandlungen. Wahrscheinlich ist während dieser Zeit auch sein Portrait von STIELER entstanden.</ref> in Ordnung ist, so wirst Du ja wohl noch eine Exkursion machen. Wäre ich an deiner Stelle, ich thäte den Bayern den Gefallen und gienge ein paar Monat nach Landshut, bloß wegen Walther<ref>Philipp Franz von WALTHER, 1782-1849, wurde 1804 nach Landshut als Professor für Physiologie, später auch für Chirurgie berufen und gewann hier großes Ansehen als Chirurg und Augenarzt, 1818 nach Bonn, 1830 München.</ref>, es thut mir herzlich leid seine Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. Seine Abhandlungen auf dem Gebiete der Chirurgie haben mich sehr begierig gemacht ihn kennen zu lernen. Ich glaube kaum das ein Chirurg wie er noch existirt, mit so viel allgemeinen Ansichten, und so scharfen medicinischen Urtheilen. Die Abhandlung über Augenentzündungen<ref>Ph. Fr. WALTHER, Ueber die Augenentzündung, ihr Wesen und ihre Formen, in: Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Medicin besonders der Augenheilkunde, 1. Band, Landshut 1810, S. 359</ref> u. die üb. Bildung der catarracte<ref>Ders., Ueber die Krankheiten der Crystallinse, und die Bildung des Staares, a. a. O., S. 1</ref>empfehle ich Dir besonders.''
ab, da wird es wieder recht tod; ich lebe aber in der Hoffnung Lücken, Seuffert und
 
Merk [?] bald hier zu sehn; Lücke kann alle Tage kommen, gestern war sein Geburtstag<ref>Demnach wäre Friedrich Lücke am 28. August geboren, in Wirklichkeit ist er am 24. August 1791 in Egeln /Elbe geboren. Wikipedia bringt fälschlich den 24. Juli; zu LÜCKE u. SEUFFERT vgl. Anm. 25 bzw. 26</ref>.
 
Meine Kr. habe ich als geheilt entlassen, d. h. der Junge ist gesund bis auf den
 
Kartoffelbauch und den Grindkopf, das Mädchen noch etwas schlechter als vorher.
 
Ich weiß aber kaum selber was ich mit dem Balg anfangen soll; wären die
 
Leute reicher ich gäbe ihm . . . , . . . od. dergl. so laße ich es gehn,
 
ich begnügte mich mit einem schönen Dank, und dafür tragen mich die
 
Leute lobpreisend in der Stadt umher. Ich seh es noch immer als ein gutes
 
Omen an, daß der erste wenigstens so weit hergestellt ist, er konnte
 
mir ja eben so gut abfahren. Nächstens hoffe ich eine Staaroperation zu
 
machen. Einer Frau, die ich schon bestellt hatte, dauerten die Anstalten zu lang
 
da sie hier im Krankenhaus operirt werden sollte, sie gieng mir daher durch,
 
mir ist es recht fatal, gerade eine recht reine Linsencatarrakte, ganz ohne alle
 
Complicationen bey Verlust der menstruation im 50ten Jahr entstanden, kurz
 
man konnte sich's nicht beßer wünschen, und Du weißt wie viel vernünftiger
 
sich bey dergl. eine Frau beträgt, als ein Mann. -
 
Wie steht es denn mit Deiner Dißertation ?<ref>Detmar Wilhelm SOEMMERRING, 1793-1871, verfasste in Göttingen 1816 seine Promotion über die Anatomie des Auges unter dem Titel: „De oculorum hominis animaliumque sectione horizontali commentatio.“, Göttingen 1818</ref> Hoffentlich ist sie bald fertig
 
ich freue mich recht sehr darauf; überhpt schreibe mir doch was Du so treibst,
 
wenn Deines Vater Sammlung<ref>Der Vater von Detmar Wilhelm SOEMMERRING, Prof. Dr. med. Samuel Thomas von SOEMMERRING, 1755-1830, damals seit 1805 in München, war ein begeisterter Sammler von anatomischen Präparaten etc; nach abgeschlossenem Studium hielt sich Detmar bis 1819 einige Zeit bei seinem Vater in München auf und veröffentlichte dort zwei wissenschaftliche Abhandlungen. Wahrscheinlich ist während dieser Zeit auch sein Portrait von STIELER entstanden.</ref> in Ordnung ist, so wirst Du ja wohl
 
noch eine Exkursion machen. Wäre ich an deiner Stelle, ich thäte den
 
Bayern den Gefallen und gienge ein paar Monat nach Landshut,
 
bloß wegen Walther<ref>Philipp Franz von WALTHER, 1782-1849, wurde 1804 nach Landshut als Professor für Physiologie, später auch für Chirurgie berufen und gewann hier großes Ansehen als Chirurg und Augenarzt, 1818 nach Bonn, 1830 München.</ref>, es thut mir herzlich leid seine Bekanntschaft
 
nicht gemacht zu haben. Seine Abhandlungen auf dem Gebiete der
 
Chirurgie haben mich sehr begierig gemacht ihn kennen zu lernen.
 
Ich glaube kaum das ein Chirurg wie er noch existirt, mit so viel
 
allgemeinen Ansichten, und so scharfen medicinischen Urtheilen.
 
Die Abhandlung über Augenentzündungen<ref>Ph. Fr. WALTHER, Ueber die Augenentzündung, ihr Wesen und ihre Formen, in: Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Medicin besonders der Augenheilkunde, 1. Band, Landshut 1810, S. 359</ref> u. die üb. Bildung der catarracte<ref>Ders., Ueber die Krankheiten der Crystallinse, und die Bildung des Staares, a. a. O., S. 1</ref>empfehle ich Dir besonders.
 
  
 
<gallery>
 
<gallery>
Zeile 52: Zeile 26:
 
====Rückfall====
 
====Rückfall====
  
O Frühlingsluft, o freudiges Erstehen,
+
:O Frühlingsluft, o freudiges Erstehen,
Am warmen Sonnenstrahl im Himmelblauen.
+
:Am warmen Sonnenstrahl im Himmelblauen.
Du frisches Grün, krystallnes Niederthauen
+
:Du frisches Grün, krystallnes Niederthauen
Ach mußtet ihr, uns kaum genaht vergehen ?
+
:Ach mußtet ihr, uns kaum genaht vergehen ?
  
Der Sturm erwacht, mit ungestümen Wehen
+
:Der Sturm erwacht, mit ungestümen Wehen
Stürzt eis'ge Flut auf die erschroknen Auen,
+
:Stürzt eis'ge Flut auf die erschroknen Auen,
Der Frühling flieht und siegreich kehrt mit rauhen
+
:Der Frühling flieht und siegreich kehrt mit rauhen
Gewalt'gen Schritt der Winter von den Höhen.
+
:Gewalt'gen Schritt der Winter von den Höhen.
  
Die Rosen, die mit milden Frühlingslüften
+
:Die Rosen, die mit milden Frühlingslüften
Auf's neu entsproßten Ihren bleichen Wangen
+
:Auf's neu entsproßten Ihren bleichen Wangen
Als Sie gewandelt in den frischen Düften:
+
:Als Sie gewandelt in den frischen Düften:
  
Sie müßen alle in dem Sturm erbleichen,
+
:Sie müßen alle in dem Sturm erbleichen,
Die schwache Brust hält düstern Schmerz umfangen,
+
:Die schwache Brust hält düstern Schmerz umfangen,
daß aller Hoffnung Bilder fern entweichen.
+
:daß aller Hoffnung Bilder fern entweichen.
  
 
====Tod====
 
====Tod====
  
Wie lächlen freundlich ihre bleichen Wangen,
+
:Wie lächlen freundlich ihre bleichen Wangen,
Wie ruh'n so sanft die aufgelößten Glieder !
+
:Wie ruh'n so sanft die aufgelößten Glieder !
Wann öffnen sich die bleichen Lippen wieder
+
:Wann öffnen sich die bleichen Lippen wieder
Die Freude kündend die ihr Herz umfangen ?
+
:Die Freude kündend die ihr Herz umfangen ?
  
Wohl ist es jetzt von höh'rer Lust umfangen,
+
:Wohl ist es jetzt von höh'rer Lust umfangen,
Es hebt die Brust nicht schmerzlich auf und nieder,
+
:Es hebt die Brust nicht schmerzlich auf und nieder,
Und nie entsteigen ihr die zarten Lieder
+
:Und nie entsteigen ihr die zarten Lieder
Die einst zum Leben regten neu Verlangen.
+
:Die einst zum Leben regten neu Verlangen.
  
Im braunen Haar, in zartgewunden Flechten
+
:Im braunen Haar, in zartgewunden Flechten
Ruht bräutlich still der schöne Myrtenkranz,
+
:Ruht bräutlich still der schöne Myrtenkranz,
Der sie entrückt der Erde dunklen Mächten:
+
:Der sie entrückt der Erde dunklen Mächten:
  
Und herrlicher als je die schönsten Träume
+
:Und herrlicher als je die schönsten Träume
Die Erde Ihr gezeigt im Frühlingsglanz
+
:Die Erde Ihr gezeigt im Frühlingsglanz
Umfangen Sie des Himmels heil'ge Räume.-
+
:Umfangen Sie des Himmels heil'ge Räume.-
  
 
<gallery>
 
<gallery>
Zeile 95: Zeile 69:
 
</gallery>
 
</gallery>
  
 +
===''Gotha d 9 Oct 1817.''===
  
===Gotha d 9 Oct 1817.===
+
''Wie sehr hat mich Dein lieber Brief erfreut, Du theurer, den ersten den ich seit so langer Zeit von meinen saumseligen Freunden erhielt; wie lebhaft erinnern mich diese Tage an die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten<ref>Würzburg, das JACOBS im Okt. 1816 verlässt, um nach München zu gehen. Am 30. Nov. 1816 kommt er in Wien an, wo er sich fast ein Jahr aufhält und kehrt also Ende 1817 nach Gotha zurück, wo er seine ärztliche Tätigkeit aufnimmt (s. Martin RUDOLPH, „Societas Philologica Gottingensis. Christian Carl Josias Bunsen und sein Göttinger Freundeskreis 1809 / 1815.“, SS. 59-160, über den Briefschreiber S. 131f und 153f, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bände 46-47, Hildesheim 1975)</ref>. Damals lebte die gute A. noch, und den 6 t war es wo ich sie kennen lernte. Wie oft sehne ich mich zu euch zurück, bes. zu Dir; die freie Mittheilung fehlt mir hier so sehr in ärztlichen Dingen; Dr. Buddeus,<ref>Dr. med. Ernst Friedrich Wilhelm BUDDEUS, 1783-1861, prakt. Arzt, Reg.- und Ober-Medizinalrat und Stadtphysikus zu Gotha, Mitglied der Herzogl. Landes-Regierung, Mitbegründer der Gothaer Versicherung (sein Bild in der Gruppe der Sieben Weisen Alt-Gothas, gez. v. Emil JACOBS); er behandelte die 1822 ausgebrochene Epilepsie des Briefschreibers</ref> u. Hofrath Ruppius<ref>Dr. med. Johann Carl RUPPIUS, 1786-1866, Hofrat und Leibarzt zu Gotha. Nach dem Frieden von 1815 ließ sich Ruppius in Gotha nieder, wo er die Anatomisch-Chirurgische Lehranstalt leitete und dort auch Vorlesungen in Anatomie hielt; er war verheiratet mit der Musikerin Caroline geb. SCHLICK, * Gotha 1789, die die Herzogl. Hofmusiken veranstaltete; sie war eine Tochter des deutsch-italienischen Musiker-Ehepaars Schlick/Strinasacchi, und wird in den (im Familienarchiv Jacobs verwahrten) Brautbriefen der Schwester Marie Gabriele Jacobs des Briefschreibers öfters erwähnt.</ref> sind diejenigen die s. meiner annehmen, aber es läßt sich doch manches nicht gegen sie sagen, was ich Dir gern sagte. Noch bin ich nicht examinirt, doch prakticire ich so hin und wieder; da es aber fast gar keine Kranken giebt, so kömmt fast nichts vor als böse Finger, von denen mich einer recht . . . , von meiner Cusine, die e. Geschwür unter dem Nagel des Daumens hat, ich werde es doch noch öffnen müssen, vielleicht heute, und davor graut mir, mir thut es weher als ihr. Um den untern Nagel= rand, war eine . . . starke schmerzhafte Geschwulst, in der ich ganz gewiß Eiter zu fühlen glaubte, ich stach ein, es kam aber ein großer Strom schwarzen Blutes, das ich, bey der großen Vollblütigkeit des Mädchens, eine Zeit lang fort= fließen ließ, daß in 3 Minuten gegen 5 Uz ausfloßen, es stand bald d. aufgelegte Charpie. - Mit dem Finger geht es beßer die Eiterung ist gut, den Abseß unter dem Nagel öffnete ich mit der Schere nachdem jener vorher dünn geschabt worden.''
  
Wie sehr hat mich Dein lieber Brief erfreut, Du theurer, den ersten den ich seit
+
===''d.12 ten''===
so langer Zeit von meinen saumseligen Freunden erhielt; wie lebhaft erinnern
 
mich diese Tage an die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten<ref>Würzburg, das JACOBS im Okt. 1816 verlässt, um nach München zu gehen. Am 30. Nov. 1816 kommt er in Wien an, wo er sich fast ein Jahr aufhält und kehrt also Ende 1817 nach Gotha zurück, wo er seine ärztliche Tätigkeit aufnimmt (s. Martin RUDOLPH, „Societas Philologica Gottingensis. Christian Carl Josias Bunsen und sein Göttinger Freundeskreis 1809 / 1815.“, SS. 59-160, über den Briefschreiber S. 131f und 153f, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bände 46-47, Hildesheim 1975)</ref>. Damals
 
lebte die gute A. noch, und den 6 t war es wo ich sie kennen lernte. Wie oft
 
sehne ich mich zu euch zurück, bes. zu Dir; die freie Mittheilung fehlt mir hier so
 
sehr in ärztlichen Dingen; Dr. Buddeus,<ref>Dr. med. Ernst Friedrich Wilhelm BUDDEUS, 1783-1861, prakt. Arzt, Reg.- und Ober-Medizinalrat und Stadtphysikus zu Gotha, Mitglied der Herzogl. Landes-Regierung, Mitbegründer der Gothaer Versicherung (sein Bild in der Gruppe der Sieben Weisen Alt-Gothas, gez. v. Emil JACOBS); er behandelte die 1822 ausgebrochene Epilepsie des Briefschreibers</ref> u. Hofrath Ruppius<ref>Dr. med. Johann Carl RUPPIUS, 1786-1866, Hofrat und Leibarzt zu Gotha. Nach dem Frieden von 1815 ließ sich Ruppius in Gotha nieder, wo er die Anatomisch-Chirurgische Lehranstalt leitete und dort auch Vorlesungen in Anatomie hielt; er war verheiratet mit der Musikerin Caroline geb. SCHLICK, * Gotha 1789, die die Herzogl. Hofmusiken veranstaltete; sie war eine Tochter des deutsch-italienischen Musiker-Ehepaars Schlick/Strinasacchi, und wird in den (im Familienarchiv Jacobs verwahrten) Brautbriefen der Schwester Marie Gabriele Jacobs des Briefschreibers öfters erwähnt.</ref> sind diejenigen die s.
 
meiner annehmen, aber es läßt sich doch manches nicht gegen sie sagen, was ich
 
Dir gern sagte. Noch bin ich nicht examinirt, doch prakticire ich so hin und wieder;
 
da es aber fast gar keine Kranken giebt, so kömmt fast nichts vor als böse Finger,
 
von denen mich einer recht . . . , von meiner Cusine, die e. Geschwür unter
 
dem Nagel des Daumens hat, ich werde es doch noch öffnen müssen, vielleicht
 
heute, und davor graut mir, mir thut es weher als ihr. Um den untern Nagel=
 
rand, war eine . . . starke schmerzhafte Geschwulst, in der ich ganz gewiß
 
Eiter zu fühlen glaubte, ich stach ein, es kam aber ein großer Strom schwarzen
 
Blutes, das ich, bey der großen Vollblütigkeit des Mädchens, eine Zeit lang fort=
 
fließen ließ, daß in 3 Minuten gegen 5 Uz ausfloßen, es stand bald d. aufgelegte
 
Charpie. - Mit dem Finger geht es beßer die Eiterung ist gut, den Abseß unter dem
 
Nagel öffnete ich mit der Schere nachdem jener vorher dünn geschabt worden.
 
  
 
+
''Wie mahnte mich dieser Sontagsmorgen an die göttingischen im letzten Winter ! Schnee liegt auf den Dächern wie damals, aber wenn ich hinaus sehe a. dem Fenster, sehe ich nur auf Dächer und eine öde Straße; damals konnte ich die Augen nicht aufschlagen ohne daß sie auf die Nachbarinnen fielen die hinter dem klaren Fenster geschäftig waren; so viele Träume einer schönen Zukunft stiegen auf und ab, so viele Bilder glüklicher Tage die noch kommen sollten beschäftigten die Phantasie, und jetzt sind es wieder die Träume der Vergangenheit die mich mit einer schmerzlichen Freude erfüllen. Du siehst, ich habe noch nicht vergeßen, noch immer treibt mich eine gewaltige Sehnsucht immer mehr nach Norden und als ich vor einem Jahre im Süden war, war ich doch nicht ferner als jetzt. Alle Nachrichten schweigen von diesen Teutonionen [?], denn Haxthausen<ref>August Franz Frhr. v. HAXTHAUSEN, 1792-1866, war Agrarwissenschaftler, Nationalökonom, Jurist, Landwirt und Schriftsteller sowie Volksliedersammler, er studierte 1815-1818 in Göttingen</ref> schreibt gar nicht mehr Haßenpflug<ref>Wohl Ludwig HASSENPFLUG, 1794-1862, Jurist, kurhessischer Minister, studierte 1812-16 in Göttingen; heiratete eine Schwester der Gebr. GRIMM; verfasste Jugenderinnerungen 1794-1821, Bd. 4 von Quellen zur Brüder Grimm-Forschung, hg. v. Klaus Hassenpflug</ref> auch nicht. - Haxthausen giebt jetzt in Gesellschaft mit dem Hornpeter (Peter von Hornthal<ref>Johann Peter von HORNTHAL, 1794-1864, Jurist, Politiker u. Schriftsteller; gibt 1818 zusammen mit Heinrich STRAUBE (1794-1847) die romantische Literaturzeitschrift Die Wünschelruthe heraus.</ref>) ein periodisches Blatt heraus das den Namen der Wünschelruthe<ref>DIE WÜNSCHELRUTHE war eine Göttinger Zeitschrift der Spätromantik. Sie erschien von Januar bis Juni 1818 zweimal wöchentlich mit dem Untertitel „Ein Zeitblatt“ bei Vandenhoeck & Ruprecht. https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:W%C3%BCnschelruthe#/media/File:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_p_01.jpg</ref> führt, und hat Hey<ref>Johann Wilhelm HEY, 1789-1854, D. theol. h. c., 1814-1818 Lehrer Gotha, dann Pfr. zu Töttelstedt, 1827 Hofprediger zu Gotha, 1832 Superintendent von Ichtershausen, der Fabeldichter, Freund des Briefschreibers, Mitglied der Societas Philologica Gottingensis</ref> u mich zum Mitarbeiten eingeladen. Die ersten 3 Probeblätter (den 1ten Jan 1818 fängt es an) enthalten aber blutwenig edles Metall, bes. ist eine Erzählung von dem verrükten Straube<ref>Heinrich STRAUBE, 1794-1847, Oberappellationsgerichtsrat zu Kassel, Student der Rechte zu Göttingen, zu ihm hatte 1819 die Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff ein Liebesverhältnis, ihre Mutter war eine geb. v. HAXTHAUSEN (http://www.arnswald.de/droste-huelshoff.html)</ref> pures Katzengold. Es ist merkwürdig, daß dergleichen gerade in Göttingen herauskommen kann, wo doch der alte Verstand zu Hause ist; freilich scheint er nach und nach dergestalt an Altersschwäche, ja an Marasmus zu leiden, daß die Kinder mit ihm Hutzeputz spielen, von Kritik haben die Herausgeber keine Jdee. Haxthausen hat mehrere Volkslieder hineinrüken laßen, die noch das beste sind. Neugierig bin ich ob es wohl ein Vierteljahr sich halten wird. Einige unsinnige Lieder will ich ihnen schicken, vielleicht sind sie unsinnig genug um der Gesellschaft würdig zu seyn.- Man erzählte mir Haxthausen habe in G. ein Buch druken laßen (worüber wußte niemand) es habe aber die Censur nicht paßirt, sey aber doch ausgetheilt worden; ich möchte wißen ob es des Unsinns wegen, oder wegen poltischer oder sonstiger anderer Anstände willen verboten wurde, ich hoffe auf Nachricht darüber. - Den 18ten ist großes Fest auf der Wartburg, 800 Studenten sind angekündigt um das Refor= mationsfest und die Schlacht bei Leipzig zu feyern, auch sollen Verhandlungen über die Allgemeine Verfaßung der Universitäten vorgenommen werden.<ref>Das erste Wartburgfest, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Wartburgfest</ref> Der Herzog von Weimar hat befohlen ihnen allen Vorschub zu thun und hat 40 Klafter Holz zu einem Freudenfeuer anweisen laßen. Von Hannover ist ein sehr ängstliches Schreiben an die Regierung in Weimar ergangen, ob man auch von dem Vorhaben unterrichtet sey, ob nicht politische geheime Zwecke dahinter stehen könnten ? Wenn sie erst von der Hofrathsverschwörung wüßten wo Warrnkönig,<ref>Gemeint ist Leopold August WARNKÖNIG, 1794-1866, Jurist, geht 1817 an die Univ. Lüttich</ref> der jetzt in Holland angestellt ist, Rädelsführer war ! Der Herzog hat sehr über diese Besorgnisse gelacht, u. gemeint er könne doch die Leute nicht wegjagen, drum sollten sie in Eisenach Lebensml in großem Vorrath bereit halten, und damit kein Schade in den Wäldern geschehe, habe er Holz anweisen laßen. Der Mann ist doch vernünftig, wären sie alle so es wäre besser; und doch reden sie in Jena immer von Aufruhr und Empörung. Uberhaupt ist in dem kleinen Großherzogthum alles in Gang u. im gewaltig regen Leben, alles arbeitet gegeneinander, zankt, schimpft, verleumdet, läßt nichts unangetastet, aber kein Mensch schert sich darum oder läßt sich doch irre machen, jeder geht seinem Ziele zu, wird was gutes draus, nun so ist's schön und die Spötter und Gegner schweigen, wird’s nichts so redet man 8 Tage davon dann ist's vorbey der Unglückliche macht sich aber nichts draus, sondern fängt frisch wieder was anders von neuem an. Dem Herzog ist das nun gerade Recht, denn er machts nicht besser. Offenbar bösen Willen haben wenige und da ist's schwer ankämpfen gegen die beßern, die schreien und schimpfen und ärgern und publiciren können so viel sie Lust haben. Kurz es ist eine wahre Hetze; am Ende ist man doch wieder ein Stück vorgerückt, da man in andern Ländern auf einem Fleck bleibt, und doch schon zurückschreitet, wenn nicht, wie oft, schon so Rückschritte geschehen. - Hier zum Beyspiel ist es schrecklich todt; die Leute sind die Mäßigung selbst und rechte Philister: immer denken sie was wird der Hof und dann die Welt und der Herr Gevatter und Herr College dazu sagen ? Oder es könnte das ganze Land etwas in Miskredit kommen, wenn ein paar Hitzköpfe sich ordentlich herum= katzbalgen wollen, oder sich gar unterfangen die Masregeln der Regierung zu meistern. Da wird nun nicht mit Knüppeln aber doch mit der Feder drein geschlagen und ritz ratz der . . . gestrichen. Daher kommt nun ein allgemeiner schläfriger Mismuth, alles zieht sich zurück, ärgert sich im stillen krank, und schief, an wahres Vergnügen ist gar nicht zu denken, kurz man lebt wie im Himmel so einträchtig und möchte doch des klaren Teufels werden. Für mich sind die Cusinen zwar nicht gestorben und nicht verdorben. Aber die . . . hat sich verändert, eine ist verheirathet, die andere bey ihrem Bruder in der Fremde, die dritte hat die Anziehungskraft verloren, die vierte war immer schon langweilig etc etc. Kurz Du siehst daß ich recht habe wenn ich mich fechtend zurückziehe von der Welt und lieber dem Haxthausen Unsinn und Katzensilber unter seine Wünschelruthe schiebe, die dann munter zukippt und es unter die Straße trägt, und dann in den . . . der Welt, die aber freylich nichts draus fördert als Schlehen. - Beynah hätte ich mich auf die schlimme Seite gelegt und wäre ohne weiters unter die Jenaer Prügel . . . gegangen „wenn ich nur etwas davon hät“. Wer weiß was noch geschieht. Jetzt schreibe ich einen Roman den ich wohl Dichtung und Wahrheit überschreiben könnte, wär's nicht schon zu sehr abgedroschen. So weiß ich den Titel noch nicht. Er zerfällt in drei Abschnitte. Der erste fängt von meiner Bekanntschaft mit der Ralle an und geht bis zu der mit Auguste G. in Mariengarten<ref>Mariengarten ist ein ehem. Zisterzienserinnen-Kloster, heute Klostergut in der Nähe von Göttingen</ref> Der2te von da bis zum Abgang von Göttingen; und der dritte; von Fr. v. . . . Hochzeit bis zu Alphonsinens Tode. Du siehst daß ich selbst der Hauptheld bin; er wird in Briefen abgefaßt mit einigen Episoden die aber verdammt schwer sind, oft arbeite ich in Hemdeärmeln bey schweren Capiteln. Große Catastrophen, so recht romantische Romanscenen kommen freylich wenig vor; Ein paar Mondscheinspaziergänge, Alpenreisen, gern abgerechnet. Ich freue mich ordentlich auf manches als ob ich es noch einmal oder wirklich erleben sollte, von vielen weiß ich noch kein Wort, und erwarte von meinem Genius daß er es mir eingebe. Dieses . . . soll mich hoffentlich von der Despera= tion abhalten, oder vielmehr sie von mir; - ich war nahe daran „Leiden eines jungen Arztes zu schreiben“ aber ich wäre zu satirisch geworden, und am Ende hätte man mich so gut wie den Prinzen Gustino einsperren müßen, der seinen unseeligen Hund nicht für den angesehensten u. verdienstvollsten Mann im Königreich anerkennen wollte. - Das beste ist daß dieses Hundeleben kaum noch ein paar kurze Lustren<ref>Lustrum, römisch, einen Zeitraum von fünf Jahren</ref> dauern kann; wahrhaftig J. P.<ref>J. P. ist Abkürzung für den Schriftsteller Jean Paul RICHTER, 1763-1825</ref> hat Recht der das bürgerliche Leben für das elendeste erklärt was auf Erden zu finden ist, daß es ein Wilder beynah beßer hat in den Nordamerikanischen Wäldern, und die verdammte Nützlichkeit, die Zucker- und Menschenraffinerien sind rein um toll zu werden. Aber ich sehe gar nicht ein warum ich mich so ungeheuer erbose. Es hilft nichts. Drum will ich für heute aufhören und zu Hey gehn, um mich mit ihm über das zu besprechen, was wir der Wünschelruthe zu wenden wollen.-''
===d.12 ten===
 
 
 
Wie mahnte mich dieser Sontagsmorgen an die göttingischen im letzten Winter !
 
Schnee liegt auf den Dächern wie damals, aber wenn ich hinaus sehe a. dem Fenster, sehe ich
 
nur auf Dächer und eine öde Straße; damals konnte ich die Augen nicht aufschlagen
 
ohne daß sie auf die Nachbarinnen fielen die hinter dem klaren Fenster geschäftig waren;
 
so viele Träume einer schönen Zukunft stiegen auf und ab, so viele Bilder glüklicher
 
Tage die noch kommen sollten beschäftigten die Phantasie, und jetzt sind es wieder die
 
Träume der Vergangenheit die mich mit einer schmerzlichen Freude erfüllen. Du
 
siehst, ich habe noch nicht vergeßen, noch immer treibt mich eine gewaltige Sehnsucht
 
immer mehr nach Norden und als ich vor einem Jahre im Süden war, war ich doch nicht
 
ferner als jetzt. Alle Nachrichten schweigen von diesen Teutonionen [?], denn Haxthausen<ref>August Franz Frhr. v. HAXTHAUSEN, 1792-1866, war Agrarwissenschaftler, Nationalökonom, Jurist, Landwirt und Schriftsteller sowie Volksliedersammler, er studierte 1815-1818 in Göttingen</ref>
 
schreibt gar nicht mehr Haßenpflug<ref>Wohl Ludwig HASSENPFLUG, 1794-1862, Jurist, kurhessischer Minister, studierte 1812-16 in Göttingen; heiratete eine Schwester der Gebr. GRIMM; verfasste Jugenderinnerungen 1794-1821, Bd. 4 von Quellen zur Brüder Grimm-Forschung, hg. v. Klaus Hassenpflug</ref> auch nicht. - Haxthausen giebt jetzt in Gesellschaft mit dem Hornpeter (Peter von Hornthal<ref>Johann Peter von HORNTHAL, 1794-1864, Jurist, Politiker u. Schriftsteller; gibt 1818 zusammen mit Heinrich STRAUBE (1794-1847) die romantische Literaturzeitschrift Die Wünschelruthe heraus.</ref>) ein periodisches Blatt heraus
 
das den Namen der Wünschelruthe<ref>DIE WÜNSCHELRUTHE war eine Göttinger Zeitschrift der Spätromantik. Sie erschien von Januar bis Juni 1818 zweimal wöchentlich mit dem Untertitel „Ein Zeitblatt“ bei Vandenhoeck & Ruprecht.
 
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:W%C3%BCnschelruthe#/media/File:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_p_01.jpg</ref> führt, und hat Hey<ref>Johann Wilhelm HEY, 1789-1854, D. theol. h. c., 1814-1818 Lehrer Gotha, dann Pfr. zu Töttelstedt, 1827 Hofprediger zu Gotha, 1832 Superintendent von Ichtershausen, der Fabeldichter, Freund des Briefschreibers, Mitglied der Societas Philologica Gottingensis</ref> u mich zum Mitarbeiten
 
eingeladen. Die ersten 3 Probeblätter (den 1ten Jan 1818 fängt es an) enthalten aber
 
blutwenig edles Metall, bes. ist eine Erzählung von dem verrükten Straube<ref>Heinrich STRAUBE, 1794-1847, Oberappellationsgerichtsrat zu Kassel, Student der Rechte zu Göttingen, zu ihm hatte 1819 die Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff ein Liebesverhältnis, ihre Mutter war eine geb. v. HAXTHAUSEN (http://www.arnswald.de/droste-huelshoff.html)</ref>
 
pures Katzengold. Es ist merkwürdig, daß dergleichen gerade in Göttingen
 
herauskommen kann, wo doch der alte Verstand zu Hause ist; freilich scheint
 
er nach und nach dergestalt an Altersschwäche, ja an Marasmus zu leiden,
 
daß die Kinder mit ihm Hutzeputz spielen, von Kritik haben die Herausgeber
 
keine Jdee. Haxthausen hat mehrere Volkslieder hineinrüken laßen, die noch
 
das beste sind. Neugierig bin ich ob es wohl ein Vierteljahr sich halten wird. Einige
 
unsinnige Lieder will ich ihnen schicken, vielleicht sind sie unsinnig genug
 
um der Gesellschaft würdig zu seyn.- Man erzählte mir Haxthausen habe
 
in G. ein Buch druken laßen (worüber wußte niemand) es habe aber die
 
Censur nicht paßirt, sey aber doch ausgetheilt worden; ich möchte wißen ob es
 
des Unsinns wegen, oder wegen poltischer oder sonstiger anderer Anstände
 
willen verboten wurde, ich hoffe auf Nachricht darüber. - Den 18ten ist großes
 
Fest auf der Wartburg, 800 Studenten sind angekündigt um das Refor=
 
mationsfest und die Schlacht bei Leipzig zu feyern, auch sollen Verhandlungen
 
über die Allgemeine Verfaßung der Universitäten vorgenommen werden.<ref>Das erste Wartburgfest, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Wartburgfest</ref>
 
Der Herzog von Weimar hat befohlen ihnen allen Vorschub zu thun und
 
hat 40 Klafter Holz zu einem Freudenfeuer anweisen laßen. Von
 
Hannover ist ein sehr ängstliches Schreiben an die Regierung in Weimar
 
ergangen, ob man auch von dem Vorhaben unterrichtet sey, ob nicht
 
politische geheime Zwecke dahinter stehen könnten ? Wenn sie erst
 
von der Hofrathsverschwörung wüßten wo Warrnkönig,<ref>Gemeint ist Leopold August WARNKÖNIG, 1794-1866, Jurist, geht 1817 an die Univ. Lüttich</ref> der jetzt in
 
Holland angestellt ist, Rädelsführer war ! Der Herzog hat sehr über diese
 
Besorgnisse gelacht, u. gemeint er könne doch die Leute nicht wegjagen,
 
drum sollten sie in Eisenach Lebensml in großem Vorrath bereit halten, und
 
damit kein Schade in den Wäldern geschehe, habe er Holz anweisen laßen. Der
 
Mann ist doch vernünftig, wären sie alle so es wäre besser; und doch reden sie
 
in Jena immer von Aufruhr und Empörung. Uberhaupt ist in dem kleinen
 
Großherzogthum alles in Gang u. im gewaltig regen Leben, alles arbeitet gegeneinander,
 
zankt, schimpft, verleumdet, läßt nichts unangetastet, aber kein Mensch schert sich darum
 
oder läßt sich doch irre machen, jeder geht seinem Ziele zu, wird was gutes draus, nun
 
so ist's schön und die Spötter und Gegner schweigen, wird’s nichts so redet man 8 Tage
 
davon dann ist's vorbey der Unglückliche macht sich aber nichts draus, sondern fängt frisch
 
wieder was anders von neuem an. Dem Herzog ist das nun gerade Recht, denn
 
er machts nicht besser. Offenbar bösen Willen haben wenige und da ist's schwer
 
ankämpfen gegen die beßern, die schreien und schimpfen und ärgern und
 
publiciren können so viel sie Lust haben. Kurz es ist eine wahre Hetze; am Ende
 
ist man doch wieder ein Stück vorgerückt, da man in andern Ländern auf einem
 
Fleck bleibt, und doch schon zurückschreitet, wenn nicht, wie oft, schon so Rückschritte
 
geschehen. - Hier zum Beyspiel ist es schrecklich todt; die Leute sind die Mäßigung
 
selbst und rechte Philister: immer denken sie was wird der Hof und dann die Welt
 
und der Herr Gevatter und Herr College dazu sagen ? Oder es könnte das ganze Land
 
etwas in Miskredit kommen, wenn ein paar Hitzköpfe sich ordentlich herum=
 
katzbalgen wollen, oder sich gar unterfangen die Masregeln der Regierung
 
zu meistern. Da wird nun nicht mit Knüppeln aber doch mit der Feder drein
 
geschlagen und ritz ratz der . . . gestrichen. Daher kommt nun ein
 
allgemeiner schläfriger Mismuth, alles zieht sich zurück, ärgert sich im stillen
 
krank, und schief, an wahres Vergnügen ist gar nicht zu denken, kurz man
 
lebt wie im Himmel so einträchtig und möchte doch des klaren Teufels werden.
 
Für mich sind die Cusinen zwar nicht gestorben und nicht verdorben. Aber die
 
. . . hat sich verändert, eine ist verheirathet, die andere bey ihrem Bruder in
 
der Fremde, die dritte hat die Anziehungskraft verloren, die vierte war immer
 
schon langweilig etc etc. Kurz Du siehst daß ich recht habe wenn ich mich
 
fechtend zurückziehe von der Welt und lieber dem Haxthausen Unsinn und Katzensilber unter
 
seine Wünschelruthe schiebe, die dann munter zukippt und es unter die
 
Straße trägt, und dann in den . . . der Welt, die aber freylich nichts
 
draus fördert als Schlehen. -
 
Beynah hätte ich mich auf die schlimme Seite gelegt und wäre ohne weiters
 
unter die Jenaer Prügel . . . gegangen „wenn ich nur etwas davon hät“.
 
Wer weiß was noch geschieht. Jetzt schreibe ich einen Roman den ich wohl Dichtung
 
und Wahrheit überschreiben könnte, wär's nicht schon zu sehr abgedroschen. So weiß
 
ich den Titel noch nicht. Er zerfällt in drei Abschnitte. Der erste fängt von meiner
 
Bekanntschaft mit der Ralle an und geht bis zu der mit Auguste G. in Mariengarten<ref>Mariengarten ist ein ehem. Zisterzienserinnen-Kloster, heute Klostergut in der Nähe von Göttingen</ref>
 
Der2te von da bis zum Abgang von Göttingen; und der dritte; von Fr. v. . . .
 
Hochzeit bis zu Alphonsinens Tode. Du siehst daß ich selbst der Hauptheld
 
bin; er wird in Briefen abgefaßt mit einigen Episoden die aber verdammt
 
schwer sind, oft arbeite ich in Hemdeärmeln bey schweren Capiteln. Große
 
Catastrophen, so recht romantische Romanscenen kommen freylich wenig
 
vor; Ein paar Mondscheinspaziergänge, Alpenreisen, gern abgerechnet.
 
Ich freue mich ordentlich auf manches als ob ich es noch einmal oder wirklich
 
erleben sollte, von vielen weiß ich noch kein Wort, und erwarte von meinem
 
Genius daß er es mir eingebe. Dieses . . . soll mich hoffentlich von der Despera=
 
tion abhalten, oder vielmehr sie von mir; - ich war nahe daran „Leiden eines
 
jungen Arztes zu schreiben“ aber ich wäre zu satirisch geworden, und am Ende hätte
 
man mich so gut wie den Prinzen Gustino einsperren müßen, der seinen unseeligen
 
Hund nicht für den angesehensten u. verdienstvollsten Mann im Königreich
 
anerkennen wollte. - Das beste ist daß dieses Hundeleben kaum noch
 
ein paar kurze Lustren<ref>Lustrum, römisch, einen Zeitraum von fünf Jahren</ref> dauern kann; wahrhaftig J. P.<ref>J. P. ist Abkürzung für den Schriftsteller Jean Paul RICHTER, 1763-1825</ref> hat Recht der das bürgerliche
 
Leben für das elendeste erklärt was auf Erden zu finden ist, daß es ein
 
Wilder beynah beßer hat in den Nordamerikanischen Wäldern, und die
 
verdammte Nützlichkeit, die Zucker- und Menschenraffinerien sind rein um
 
toll zu werden. Aber ich sehe gar nicht ein warum ich mich so ungeheuer erbose.
 
Es hilft nichts. Drum will ich für heute aufhören und zu Hey gehn, um mich mit ihm
 
über das zu besprechen, was wir der Wünschelruthe zu wenden wollen.-
 
  
 
<gallery>
 
<gallery>
Zeile 226: Zeile 84:
 
</gallery>
 
</gallery>
  
===d. 15 Oct.===
+
===''d. 15 Oct.''===
 +
 
 +
''Wie die Zeit schnell vergeht, heute vor 11 Jahren, mir ist alles noch so ganz gegenwärtig, erscholl die Schreckensnachricht von der verlorenen Jenaer Schlacht. Die Tage fallen gerade wie damals; das war der Anfang der französischen Macht, und schon nahet sich der dritte Jahrestag seit ihrem Sturz; wer weiß wie es in wieder 11 Jahren aussieht ! Die Umwälzungen gehen jetzt so rasch, im Vergleich mit Sonst wie Pest und . . . . Im September waren Seuffert<ref>Johann Adam v. SEUFFERT, 1794-1857, Prof. jur. Univ. Würzburg, dann Tätigkeit als Richter</ref> u. Lücke<ref>D. theol. Gottfrief Christian Friedrich LÜCKE, 1791-1855, Abt zu Bursfelde, Prof der Theologie zu Göttingen</ref> hier, wie sehr ich mich gefreut habe diese beyden lieben Leute zu sehn kannst Du Dir recht denken. Unglücklicherweise verfehlten sich Lücke u. Seuffert, indem ersterer später kam als er versprochen hatte, und alle Äußerungen seines Briefs zufolge mußte er uns vorbey= gereist seyn. Seuffert fürchtete nun Lücke in Würzburg zu verfehlen und reiste schnell ab, 2 Tage darauf traf Lücke ein. Ob er auf dem Rückweg in Würzburg war oder nicht, davon schweigt jetzt die Geschichte noch, ich will es wünschen. Wir waren zwar recht vergnügt, ich konnte mich aber doch ihrer An= wesenheit nicht so recht freuen, erstlich fanden sich so viel Prätendenten, die sie genießen wollten, und dann stand mir ihre schnelle Abreise so lebhaft vor den Augen, daß ich das quid sit futurum cras fuge quaerere<ref>Horaz: quid sit futurum cras, fuge quaerere = Was morgen sein wird, vermeide zu fragen.</ref> ganz vergaß. Nun hat die Geschichte aufgehört und alles ist wieder aus. - Ich muß mich nun wieder über die Anatomie hermachen, die ich ziemlich verschätzt habe, denn das ist meines Examinators starke Seite, womit er gern renomirt, besonders mit der Neurologie die gerade meine schwache Seite ist. Zum Glück habe ich Kupfertafeln genug, vielleicht nur zu viele, ich werde in meinem Zimmer einige von Walter<ref>Philipp Franz v. WALTHER, s. Anm. 7</ref> aufhängen um sie so besser zu studiren; und diesmal will ich verkehrt anfangen mit der Neurologia u. beyher das übrige durchnehmen denn fing ich mit der Osteologie an, so käme ich nie bis dahin, so aber kommt ziemlich alles auf einmal.''
  
Wie die Zeit schnell vergeht, heute vor 11 Jahren, mir ist alles noch so ganz gegenwärtig,
 
erscholl die Schreckensnachricht von der verlorenen Jenaer Schlacht. Die Tage fallen gerade wie damals; das war der Anfang der französischen Macht, und schon nahet sich der
 
dritte Jahrestag seit ihrem Sturz; wer weiß wie es in wieder 11 Jahren aussieht ! Die
 
Umwälzungen gehen jetzt so rasch, im Vergleich mit Sonst wie Pest und . . . .
 
Im September waren Seuffert<ref>Johann Adam v. SEUFFERT, 1794-1857, Prof. jur. Univ. Würzburg, dann Tätigkeit als Richter</ref> u. Lücke<ref>D. theol. Gottfrief Christian Friedrich LÜCKE, 1791-1855, Abt zu Bursfelde, Prof der Theologie zu Göttingen</ref> hier, wie sehr ich mich gefreut habe diese
 
beyden lieben Leute zu sehn kannst Du Dir recht denken. Unglücklicherweise
 
verfehlten sich Lücke u. Seuffert, indem ersterer später kam als er versprochen
 
hatte, und alle Äußerungen seines Briefs zufolge mußte er uns vorbey=
 
gereist seyn. Seuffert fürchtete nun Lücke in Würzburg zu verfehlen und
 
reiste schnell ab, 2 Tage darauf traf Lücke ein. Ob er auf dem Rückweg in
 
Würzburg war oder nicht, davon schweigt jetzt die Geschichte noch, ich will
 
es wünschen. Wir waren zwar recht vergnügt, ich konnte mich aber doch ihrer An=
 
wesenheit nicht so recht freuen, erstlich fanden sich so viel Prätendenten, die
 
sie genießen wollten, und dann stand mir ihre schnelle Abreise so lebhaft
 
vor den Augen, daß ich das quid sit futurum cras fuge quaerere<ref>Horaz: quid sit futurum cras, fuge quaerere = Was morgen sein wird, vermeide zu fragen.</ref> ganz
 
vergaß. Nun hat die Geschichte aufgehört und alles ist wieder aus. -
 
Ich muß mich nun wieder über die Anatomie hermachen, die ich ziemlich verschätzt
 
habe, denn das ist meines Examinators starke Seite, womit er gern renomirt,
 
besonders mit der Neurologie die gerade meine schwache Seite ist. Zum
 
Glück habe ich Kupfertafeln genug, vielleicht nur zu viele, ich werde in
 
meinem Zimmer einige von Walter<ref>Philipp Franz v. WALTHER, s. Anm. 7</ref> aufhängen um sie so besser zu studiren;
 
und diesmal will ich verkehrt anfangen mit der Neurologia u. beyher das übrige
 
durchnehmen denn fing ich mit der Osteologie an, so käme ich nie bis dahin, so aber
 
kommt ziemlich alles auf einmal.
 
  
 
<gallery>
 
<gallery>
Zeile 259: Zeile 95:
 
</gallery>
 
</gallery>
  
===den 21sten October===
+
===''den 21sten October''===
  
So lange schon liegt dieser Brief, da bloß um Dir etwas von dem großen herrlichen
+
''So lange schon liegt dieser Brief, da bloß um Dir etwas von dem großen herrlichen Studentenfest in Eisenach, am 18ten, zu schreiben.<ref>Autor nahm im Jahre 1817 an dem ersten Wartburgfest der studentischen Burschenschaften teil und trug sich in der Präsenzliste als „Dr. Friedrich Jacobs aus Gotha“ ein.</ref> Erwarte keine Beschreibung von mir, die findest Du ausführlich in der Nationalzeitung, die doch auch wohl zu euch kömmt. Es ist jetzt ein anderer herrlicher Geist auf den Universitäten, wenigstens einigen wo er öffentlich auftreten darf wie Jena u. Heidelberg. Du hättest diese Ruhe und Ordnung bey der allgemein. Begeisterung sehen sollen. Dieselbe ist es wie 1813 u. 14 aber auf ein höheres Ziel gerichtet; Wißenschaft, Tugend und Freyheit. Um einen starken Bund zu schmieden, der um das ganze teutsche Vaterland reicht sind sie zusammengekommen nicht äußere Form, die doch wieder einstürzt, sondern die Idee soll alle verbünden. Vielleicht möchte die Oeffentlichkeit womit dieses geschieht nicht die rechte Art scheinen vielleicht nimmt es die Gestalt von Phanthasien an mit einer Tugend u. einem Gefühl das beßer im Herzen verborgen bliebe, aber das ist es nicht, es sollte einmal öffentlich und stark die Meinung der teutschen Jugend ausgesprochen worden sein, die noch in keine alte . . . . Form gezwängt ist, sondern sich immer neu gestaltet wie es der gewaltig einreißende Zeitgeist befiehlt, kann allein zeigen wie die Menschheit sein sollte. Hier wo noch keine dringenden Feßeln, keine Verhältniße und Rücksichten die Flügel der wahren Begeisterung beschneiden, kann das Wahre rein hervortreten. Furcht kennen sie ja ohnehin nicht; viele von ihnen haben auf den Schlachtfeldern von Bautzen<ref>Die Schlacht bei Bautzen, am Triumphbogen in Paris auch Schlacht bei Wurschen genannt, fand am 20./21. Mai 1813 nahe der Stadt Bautzen statt im Zuge der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich</ref> bis Paris gebluten oder dem Feinde tödliche Wunden geschlagen. Und was fürchtet überhpt der jugendliche Muth. „O wenn der Morgenwind der Jugend weht, [so] steht die innere Merkuriussäule hoch, gesetzt auch das äußere Wetter wäre nicht das beste.“<ref>Zitat aus Jean Paul Richter; 'Merkuriussäule' meint die Quecksilbersäule des Barometers</ref> Wohl mag diese große feste Verbindung der edelsten Jünglinge Deutschlands die Schlechten mit bösem Gewißen änstigen. Ist doch in dem Programm deutlich ausgesprochen und noch mehr in den Reden voll Begeisterung auf der Wartburg und an den Freudenfeiern, daß der Zweck dieser Vereinigung einewißenschaftlich – bürgerliche Umwälzung in ganz Deutschland sey, woran jeder Gut und Blut, Leib und Leben setzen will. Die das Gute fürchten in ihrer Schlechtigkeit und ihrem bösen Willen, werden nicht ermangeln alles ins gehässigste Licht zu stellen und es einen geheimen gefährlichen Bund zu nennen. Gefährlich wird er ihnen wohl werden, aber geheim ist er ist [nicht]; Alles ist ausgesprochen worden frey ohne Rückhalt, ohne Umschweife vor einer Comißion die von Weimar aus dahingeschickt war, nicht um dem jugendlichen Muth Schranken zu setzen, sondern um ihnen die äußerlichen Schwierigkeiten zu ebnen. Oken, Kieser, Schweitzer u. Fries<ref>Mehrere Professoren der Universität Jena nahmen teil, die zu den sog. politischen Professoren an der Universität zählten, namentlich die Mediziner Dietrich Georg von Kieser und Lorenz Oken, der Historiker Heinrich Luden und der Philosoph Jakob Friedrich Fries, sowie der Jurist Christian Wilhelm Schweitzer; sie waren von dem patriotischen Eifer tief beeindruckt.</ref> waren zugegen und freuten sich herzlich. Die Göttinger, Berliner u. Leipziger schienen mit keinem guten Willen gekommen zu sein; ja wie ich höre sogar entschloßen Streitigkeiten anzufangen sobald es thunlich wäre, um die Landsmannschaften gegen die allgemeinen Verbindungen, die man zu behindern sucht, zu schützen und diese zu stürzen. Aber diese Ansicht wie sie ausgesprochen wurde, die nicht an kleinlichen Urtheilen und Vorurtheilen klebt, sondern mit Religion, Vaterland und Wißenschaft so genau verknüpft ist, beschämte sie alle. Jeder einzelne würde gewiß die Hand dazu gereicht haben aber jeder schämte sich etwas vor dem andern zu thun. Von Gießen waren zwey Partheien zugegen, die schon lange in der bittersten Feindschaft lebten. Sie trugen ihre Streitigkeiten öffentlich ohne Rückhalt vor, und durch die Vermittelung der Jenenser versöhnten sie sich öffentlich. Von Göttingen waren kaum 90 zugegen, von Jena gegen 300. von Kiel 29. von Rostock, Marburg, Königsberg, auch im Verhältniß mehr als von G. Uberhaupt gieng alles von Jena aus, wo ein freyer Geist herrscht, und forschen kann, da man alles thut um ihn zu befördern, während er an andern Orten schmählich unterdrückt wird. In jener großen Versammlung am 19ten wurden 10 Reden gehalten, 6 aus dem Stegreif, die die besten waren. Keine Streitigkeit fiel vor, die Eisenacher schätzten sich glücklich der Schauplatz dieser Feier zu seyn. Die Bürger erboten sich zu Quartiren; im Hauptquartier wurden die Billete vertheilt. - Als wir am 18ten aus der Kirche kamen, schloßen wir uns an den Landsturm an, unsere und die Landsturmsfahne wurden zusammen aufgestekt und ein allgemeines Festlied auf dem Markt gesungen. Mehre preußische Offiziere waren zugegen. Beym Feuer wurden 20 Bücher verbrannt; worunter Kotzebues u. Ancillons Deutsche Geschichte, Werners Luther und Söhne des Thales, Schmalz Dabelow, Kosegarten, die Alemannia. . . . ein heßischer Zopf, eine preußische Uhlanenschnürbrust und ein österreichischer u. Nassauischer Korporalstock. Du wirst das alles genauer lesen. In Jena kommt von jetzt an eine Burschenzeitung heraus<ref>Zeitung „ISIS“, hg. vom Prof. Lorenz OKEN</ref>, die ersten Blätter werden eine getreue Darstellung des Festes geben. Wie sehr hätte ich Dich u. Holweg<ref>Gemeint ist Moritz August v. BETHMANN-HOLLWEG, 1795-1877, der spätere preuß. Minister und Professor, der zusammen mit dem Arztsohn Detmar Wilhelm SOEMMERRING (1793-1871) unter Leitung ihres Erziehers, des späteren Geographen Carl RITTER (1779-1859) von 1811 bis 1812 nach Genf zur weiteren Ausbildung ging. Beide studierten dann in Göttingen, Bethmann-Hollweg Jura und Soemmerring wie der Briefschreiber Medizin. Nach seiner Promotion 1816 in Göttingen geht S. bis 1819 zu seinem Vater, dem bedeutenden Anatomen Thomas Samuel v. SOEMMERRING nach München. Dort trifft ihn wohl der Briefschreiber wieder im Okt/Nov. 1816 auf der Reise nach Wien; darauf nimmt evtl. der Anfang des Briefes mit dem Satz „die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten“ Bezug, oder es ist die Zeit von 1807-1810 gemeint, in der beide Familien Soemmerring und Jacobs in München lebten. Friedrich Jacobs schreibt in seiner Autobiographie 'Personalien', S. 130 bei seinem Abschied aus München: „ . . . erhielt ich einen Besuch von Sömmerring, der immer an mir und den Meinigen den freundlichsten Antheil genommen hatte.“- In das Stammbuch des Detmar W. Soemmerring schreibt der Briefschreiber in Göttingen am 22. März 1816: “Wir trennen uns nur auf kurze Zeit lieber Sömmering, und ich weiß wir werden uns nie fremd werden. Lebe wohl so lange und komme bald nach Deinem F. Jacobs.“ (Univ.-Bibl. Goettingen, Cod. Ms. 1996.24 : Bl. 18 v). Wolfg. PFAUCH, Carl RITTER-bedeutender Geograph und Freund Alexander von Humboldts, in: A.v. H. u. Gothaer Gelehrte, Heft zur Ausstellung Urania Gotha 1999 Die Erwähnung von Bethmann-Hollweg (als HOLWEG) ist ein weiteres Indiz für den Adressaten dieses Briefes: der Freund Detmar Wilhelm SOEMMERRING in München !</ref> hergewünscht. Jhr hättet gewiß lebhaften Antheil an diesem herrlichen Bund genommen. Mehrere Catholiken bekannten sich hier zuerst öffentlich zur protestantischen Kirche; ein seltner Fall, aber ein gutes Zeichen der Zeit. Jetzt verzweifle ich nicht mehr an dem lieben deutschen Vaterlande. Die Philisterei wird und muß zu Grunde gehn. Lebe nun wohl Du Lieber, und schreibe mir bald, vergiß nicht mir mehr über Holweg zu schreiben wie gern nehme ich an allem Antheil was euch betrifft, und billig sollte keiner dem andern das was er für das höchste hält vorenthalten. Ewig Dein F. Empfiehl mich Deinem Vater; Schlichtegrolls<ref>Adolf Heinrich Friedrich v. SCHLICHTEGROLL, 1765-1822, Bibliothekar und Philologe, war 1807 einer Berufung an die Bayer. Akademie der Wissenschaften in München gefolgt, an der auch der Vater von SOEMMERRING seit 1805 tätig war. Schlichtegroll bewog auch seinen Freund Friedrich JACOBS, den Vater des Briefschreibers, 1807 eine Berufung nach München anzunehmen, die jedoch 1810 wieder aufgegeben wurde. Der Sohn Nathanael v. SCHLICHTEGROLL (1794-1859) war, wie der Briefschreiber, auch Mitglied der Societas Philologica Gottingensis.</ref>, und wer sich sonst meiner erinnert.''
Studentenfest in Eisenach, am 18ten, zu schreiben.<ref>Autor nahm im Jahre 1817 an dem ersten Wartburgfest der studentischen Burschenschaften teil und trug sich in der Präsenzliste als „Dr. Friedrich Jacobs aus Gotha“ ein.</ref> Erwarte keine Beschreibung von mir, die findest Du ausführlich in der Nationalzeitung, die doch auch wohl zu euch kömmt. Es ist
 
jetzt ein anderer herrlicher Geist auf den Universitäten, wenigstens einigen wo er öffentlich
 
auftreten darf wie Jena u. Heidelberg. Du hättest diese Ruhe und Ordnung bey der allgemein.
 
Begeisterung sehen sollen. Dieselbe ist es wie 1813 u. 14 aber auf ein höheres Ziel gerichtet;
 
Wißenschaft, Tugend und Freyheit. Um einen starken Bund zu schmieden, der um das ganze
 
teutsche Vaterland reicht sind sie zusammengekommen nicht äußere Form, die doch wieder
 
einstürzt, sondern die Idee soll alle verbünden. Vielleicht möchte die Oeffentlichkeit womit
 
dieses geschieht nicht die rechte Art scheinen vielleicht nimmt es die Gestalt von Phanthasien
 
an mit einer Tugend u. einem Gefühl das beßer im Herzen verborgen bliebe, aber das ist es
 
nicht, es sollte einmal öffentlich und stark die Meinung der teutschen Jugend ausgesprochen
 
worden sein, die noch in keine alte . . . . Form gezwängt ist, sondern sich immer
 
neu gestaltet wie es der gewaltig einreißende Zeitgeist befiehlt, kann allein zeigen
 
wie die Menschheit sein sollte. Hier wo noch keine dringenden Feßeln, keine Verhältniße
 
und Rücksichten die Flügel der wahren Begeisterung beschneiden, kann das Wahre rein hervortreten.
 
Furcht kennen sie ja ohnehin nicht; viele von ihnen haben auf den Schlachtfeldern von Bautzen<ref>Die Schlacht bei Bautzen, am Triumphbogen in Paris auch Schlacht bei Wurschen genannt, fand am 20./21. Mai 1813 nahe der Stadt Bautzen statt im Zuge der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich</ref>
 
bis Paris gebluten oder dem Feinde tödliche Wunden geschlagen. Und was fürchtet überhpt der
 
jugendliche Muth. „O wenn der Morgenwind der Jugend weht, [so] steht die innere Merkuriussäule
 
hoch, gesetzt auch das äußere Wetter wäre nicht das beste.“<ref>Zitat aus Jean Paul Richter; 'Merkuriussäule' meint die Quecksilbersäule des Barometers</ref> Wohl mag diese große feste Verbindung
 
der edelsten Jünglinge Deutschlands die Schlechten mit bösem Gewißen änstigen. Ist doch
 
in dem Programm deutlich ausgesprochen und noch mehr in den Reden voll Begeisterung
 
auf der Wartburg und an den Freudenfeiern, daß der Zweck dieser Vereinigung einewißenschaftlich – bürgerliche Umwälzung in ganz Deutschland sey, woran jeder Gut
 
und Blut, Leib und Leben setzen will. Die das Gute fürchten in ihrer Schlechtigkeit und
 
ihrem bösen Willen, werden nicht ermangeln alles ins gehässigste Licht zu stellen und
 
es einen geheimen gefährlichen Bund zu nennen. Gefährlich wird er ihnen wohl
 
werden, aber geheim ist er ist [nicht]; Alles ist ausgesprochen worden frey ohne
 
Rückhalt, ohne Umschweife vor einer Comißion die von Weimar aus dahingeschickt
 
war, nicht um dem jugendlichen Muth Schranken zu setzen, sondern um ihnen
 
die äußerlichen Schwierigkeiten zu ebnen. Oken, Kieser, Schweitzer u. Fries<ref>Mehrere Professoren der Universität Jena nahmen teil, die zu den sog. politischen Professoren an der Universität zählten, namentlich die Mediziner Dietrich Georg von Kieser und Lorenz Oken, der Historiker Heinrich Luden und der Philosoph Jakob Friedrich Fries, sowie der Jurist Christian Wilhelm Schweitzer; sie waren von dem patriotischen Eifer tief beeindruckt.</ref> waren
 
zugegen und freuten sich herzlich. Die Göttinger, Berliner u. Leipziger schienen mit
 
keinem guten Willen gekommen zu sein; ja wie ich höre sogar entschloßen Streitigkeiten
 
anzufangen sobald es thunlich wäre, um die Landsmannschaften gegen die allgemeinen
 
Verbindungen, die man zu behindern sucht, zu schützen und diese zu stürzen. Aber diese
 
Ansicht wie sie ausgesprochen wurde, die nicht an kleinlichen Urtheilen und Vorurtheilen
 
klebt, sondern mit Religion, Vaterland und Wißenschaft so genau verknüpft ist,
 
beschämte sie alle. Jeder einzelne würde gewiß die Hand dazu gereicht haben aber
 
jeder schämte sich etwas vor dem andern zu thun. Von Gießen waren zwey
 
Partheien zugegen, die schon lange in der bittersten Feindschaft lebten.
 
Sie trugen ihre Streitigkeiten öffentlich ohne Rückhalt vor, und durch die
 
Vermittelung der Jenenser versöhnten sie sich öffentlich. Von Göttingen
 
waren kaum 90 zugegen, von Jena gegen 300. von Kiel 29. von
 
Rostock, Marburg, Königsberg, auch im Verhältniß mehr als von G. Uberhaupt
 
gieng alles von Jena aus, wo ein freyer Geist herrscht, und forschen kann,
 
da man alles thut um ihn zu befördern, während er an andern Orten
 
schmählich unterdrückt wird. In jener großen Versammlung am 19ten wurden
 
10 Reden gehalten, 6 aus dem Stegreif, die die besten waren.
 
Keine Streitigkeit fiel vor, die Eisenacher schätzten sich glücklich der Schauplatz
 
dieser Feier zu seyn. Die Bürger erboten sich zu Quartiren; im Hauptquartier
 
wurden die Billete vertheilt. - Als wir am 18ten aus der Kirche kamen, schloßen
 
wir uns an den Landsturm an, unsere und die Landsturmsfahne
 
wurden zusammen aufgestekt und ein allgemeines Festlied auf dem Markt gesungen.
 
Mehre preußische Offiziere waren zugegen. Beym Feuer wurden 20 Bücher
 
verbrannt; worunter Kotzebues u. Ancillons Deutsche Geschichte, Werners
 
Luther und Söhne des Thales, Schmalz Dabelow, Kosegarten, die Alemannia. . . .
 
ein heßischer Zopf, eine preußische Uhlanenschnürbrust und ein
 
österreichischer u. Nassauischer Korporalstock.
 
Du wirst das alles genauer lesen. In Jena kommt von jetzt an
 
eine Burschenzeitung heraus<ref>Zeitung „ISIS“, hg. vom Prof. Lorenz OKEN</ref>, die ersten Blätter werden eine getreue
 
Darstellung des Festes geben. Wie sehr hätte ich Dich u. Holweg<ref>Gemeint ist Moritz August v. BETHMANN-HOLLWEG, 1795-1877, der spätere preuß. Minister und Professor, der zusammen mit dem Arztsohn Detmar Wilhelm SOEMMERRING (1793-1871) unter Leitung ihres Erziehers, des späteren Geographen Carl RITTER (1779-1859) von 1811 bis 1812 nach Genf zur weiteren Ausbildung ging. Beide studierten dann in Göttingen, Bethmann-Hollweg Jura und Soemmerring wie der Briefschreiber Medizin. Nach seiner Promotion 1816 in Göttingen geht S. bis 1819 zu seinem Vater, dem bedeutenden Anatomen Thomas Samuel v. SOEMMERRING nach München. Dort trifft ihn wohl der Briefschreiber wieder im Okt/Nov. 1816 auf der Reise nach Wien; darauf nimmt evtl. der Anfang des Briefes mit dem Satz „die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten“ Bezug, oder es ist die Zeit von 1807-1810 gemeint, in der beide Familien Soemmerring und Jacobs in München lebten. Friedrich Jacobs schreibt in seiner Autobiographie 'Personalien', S. 130 bei seinem Abschied aus München: „ . . . erhielt ich einen Besuch von Sömmerring, der immer an mir und den Meinigen den freundlichsten Antheil genommen hatte.“- In das Stammbuch des Detmar W. Soemmerring schreibt der Briefschreiber in Göttingen am 22. März 1816: “Wir trennen uns nur auf kurze Zeit lieber Sömmering, und ich weiß wir werden uns nie fremd werden. Lebe wohl so lange und komme bald nach Deinem F. Jacobs.“ (Univ.-Bibl. Goettingen, Cod. Ms. 1996.24 : Bl. 18 v). Wolfg. PFAUCH, Carl RITTER-bedeutender Geograph und Freund Alexander von Humboldts, in: A.v. H. u. Gothaer Gelehrte, Heft zur Ausstellung Urania Gotha 1999
 
Die Erwähnung von Bethmann-Hollweg (als HOLWEG) ist ein weiteres Indiz für den Adressaten dieses Briefes: der Freund Detmar Wilhelm SOEMMERRING in München !</ref> hergewünscht.
 
Jhr hättet gewiß lebhaften Antheil an diesem herrlichen Bund genommen.
 
Mehrere Catholiken bekannten sich hier zuerst öffentlich zur protestantischen
 
Kirche; ein seltner Fall, aber ein gutes Zeichen der Zeit. Jetzt verzweifle
 
ich nicht mehr an dem lieben deutschen Vaterlande. Die Philisterei
 
wird und muß zu Grunde gehn.
 
Lebe nun wohl Du Lieber, und schreibe mir bald, vergiß nicht mir mehr
 
über Holweg zu schreiben wie gern nehme ich an allem Antheil was euch
 
betrifft, und billig sollte keiner dem andern das was er für das höchste hält
 
vorenthalten. Ewig Dein F.
 
Empfiehl mich Deinem Vater; Schlichtegrolls<ref>Adolf Heinrich Friedrich v. SCHLICHTEGROLL, 1765-1822, Bibliothekar und Philologe, war 1807 einer Berufung an die Bayer. Akademie der Wissenschaften in München gefolgt, an der auch der Vater von SOEMMERRING seit 1805 tätig war. Schlichtegroll bewog auch seinen Freund Friedrich JACOBS, den Vater des Briefschreibers, 1807 eine Berufung nach München anzunehmen, die jedoch 1810 wieder aufgegeben wurde. Der Sohn Nathanael v. SCHLICHTEGROLL (1794-1859) war, wie der Briefschreiber, auch Mitglied der Societas Philologica Gottingensis.</ref>, und wer sich sonst meiner
 
erinnert.
 
  
  
 
====Nachtrag:====
 
====Nachtrag:====
 
Wilhelm Soemmerring studiert mit Fritz Jacobs zusammen in Göttingen und repetiert mit ihm die Anatomie; so berichtet Friedrich Jacobs in seinem Nekrolog auf seinen ältesten Sohn.<ref>Friedrich Jacobs, Vermischte Schriften, Bd. 7 Personalien, S. 561</ref>
 
Wilhelm Soemmerring studiert mit Fritz Jacobs zusammen in Göttingen und repetiert mit ihm die Anatomie; so berichtet Friedrich Jacobs in seinem Nekrolog auf seinen ältesten Sohn.<ref>Friedrich Jacobs, Vermischte Schriften, Bd. 7 Personalien, S. 561</ref>
 +
 +
== Einzelnachweise ==
 +
<references />
  
 
==Urheberrechtshinweis==
 
==Urheberrechtshinweis==

Aktuelle Version vom 13. Februar 2021, 12:35 Uhr

Ein Aufsatz von Rudolf W.L Jacobs

Autographen des Dr. med. Friedrich Wilhelm Josias JACOBS[1] an Unbekannt

nach einer Kopie aus dem Literatur-Archiv Marbach [Signatur: B. Jacobs, Friedrich (1793-1833)] erhalten im August 2015, Transkription und Ermittlung des Adressaten Dr. med. Detmar Wilhelm SÖEMMERRING[2] durch Pastor Rudolf W. L. Jacobs, Unna ARCHIV DER SCHLESWIG-THUERINGISCHEN FAMILIE JACOBS http://blog.familienarchiv-jacobs.de/Deutsches Geschlechterbuch Bd. 214, S. 267-946 Werkverzeichnis Gothaer Hofmaler Paul Emil Jacobs


Gotha 29. Aug. 1817

Recht lange hat die Geschichte geschwiegen, nämlich 6 Tage. Morgen reißt Fanny[3] ab, da wird es wieder recht tod; ich lebe aber in der Hoffnung Lücken, Seuffert und Merk [?] bald hier zu sehn; Lücke kann alle Tage kommen, gestern war sein Geburtstag[4]. Meine Kr. habe ich als geheilt entlassen, d. h. der Junge ist gesund bis auf den Kartoffelbauch und den Grindkopf, das Mädchen noch etwas schlechter als vorher. Ich weiß aber kaum selber was ich mit dem Balg anfangen soll; wären die Leute reicher ich gäbe ihm . . . , . . . od. dergl. so laße ich es gehn, ich begnügte mich mit einem schönen Dank, und dafür tragen mich die Leute lobpreisend in der Stadt umher. Ich seh es noch immer als ein gutes Omen an, daß der erste wenigstens so weit hergestellt ist, er konnte mir ja eben so gut abfahren. Nächstens hoffe ich eine Staaroperation zu machen. Einer Frau, die ich schon bestellt hatte, dauerten die Anstalten zu lang da sie hier im Krankenhaus operirt werden sollte, sie gieng mir daher durch, mir ist es recht fatal, gerade eine recht reine Linsencatarrakte, ganz ohne alle Complicationen bey Verlust der menstruation im 50ten Jahr entstanden, kurz man konnte sich's nicht beßer wünschen, und Du weißt wie viel vernünftiger sich bey dergl. eine Frau beträgt, als ein Mann. - Wie steht es denn mit Deiner Dißertation ?[5] Hoffentlich ist sie bald fertig ich freue mich recht sehr darauf; überhpt schreibe mir doch was Du so treibst, wenn Deines Vater Sammlung[6] in Ordnung ist, so wirst Du ja wohl noch eine Exkursion machen. Wäre ich an deiner Stelle, ich thäte den Bayern den Gefallen und gienge ein paar Monat nach Landshut, bloß wegen Walther[7], es thut mir herzlich leid seine Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. Seine Abhandlungen auf dem Gebiete der Chirurgie haben mich sehr begierig gemacht ihn kennen zu lernen. Ich glaube kaum das ein Chirurg wie er noch existirt, mit so viel allgemeinen Ansichten, und so scharfen medicinischen Urtheilen. Die Abhandlung über Augenentzündungen[8] u. die üb. Bildung der catarracte[9]empfehle ich Dir besonders.

Non la conobbe 'l mondo mentre l'ebbe Conobbi'l io ch'a pianger quì rimasi Petr[11]

Rückfall

O Frühlingsluft, o freudiges Erstehen,
Am warmen Sonnenstrahl im Himmelblauen.
Du frisches Grün, krystallnes Niederthauen
Ach mußtet ihr, uns kaum genaht vergehen ?
Der Sturm erwacht, mit ungestümen Wehen
Stürzt eis'ge Flut auf die erschroknen Auen,
Der Frühling flieht und siegreich kehrt mit rauhen
Gewalt'gen Schritt der Winter von den Höhen.
Die Rosen, die mit milden Frühlingslüften
Auf's neu entsproßten Ihren bleichen Wangen
Als Sie gewandelt in den frischen Düften:
Sie müßen alle in dem Sturm erbleichen,
Die schwache Brust hält düstern Schmerz umfangen,
daß aller Hoffnung Bilder fern entweichen.

Tod

Wie lächlen freundlich ihre bleichen Wangen,
Wie ruh'n so sanft die aufgelößten Glieder !
Wann öffnen sich die bleichen Lippen wieder
Die Freude kündend die ihr Herz umfangen ?
Wohl ist es jetzt von höh'rer Lust umfangen,
Es hebt die Brust nicht schmerzlich auf und nieder,
Und nie entsteigen ihr die zarten Lieder
Die einst zum Leben regten neu Verlangen.
Im braunen Haar, in zartgewunden Flechten
Ruht bräutlich still der schöne Myrtenkranz,
Der sie entrückt der Erde dunklen Mächten:
Und herrlicher als je die schönsten Träume
Die Erde Ihr gezeigt im Frühlingsglanz
Umfangen Sie des Himmels heil'ge Räume.-

Gotha d 9 Oct 1817.

Wie sehr hat mich Dein lieber Brief erfreut, Du theurer, den ersten den ich seit so langer Zeit von meinen saumseligen Freunden erhielt; wie lebhaft erinnern mich diese Tage an die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten[12]. Damals lebte die gute A. noch, und den 6 t war es wo ich sie kennen lernte. Wie oft sehne ich mich zu euch zurück, bes. zu Dir; die freie Mittheilung fehlt mir hier so sehr in ärztlichen Dingen; Dr. Buddeus,[13] u. Hofrath Ruppius[14] sind diejenigen die s. meiner annehmen, aber es läßt sich doch manches nicht gegen sie sagen, was ich Dir gern sagte. Noch bin ich nicht examinirt, doch prakticire ich so hin und wieder; da es aber fast gar keine Kranken giebt, so kömmt fast nichts vor als böse Finger, von denen mich einer recht . . . , von meiner Cusine, die e. Geschwür unter dem Nagel des Daumens hat, ich werde es doch noch öffnen müssen, vielleicht heute, und davor graut mir, mir thut es weher als ihr. Um den untern Nagel= rand, war eine . . . starke schmerzhafte Geschwulst, in der ich ganz gewiß Eiter zu fühlen glaubte, ich stach ein, es kam aber ein großer Strom schwarzen Blutes, das ich, bey der großen Vollblütigkeit des Mädchens, eine Zeit lang fort= fließen ließ, daß in 3 Minuten gegen 5 Uz ausfloßen, es stand bald d. aufgelegte Charpie. - Mit dem Finger geht es beßer die Eiterung ist gut, den Abseß unter dem Nagel öffnete ich mit der Schere nachdem jener vorher dünn geschabt worden.

d.12 ten

Wie mahnte mich dieser Sontagsmorgen an die göttingischen im letzten Winter ! Schnee liegt auf den Dächern wie damals, aber wenn ich hinaus sehe a. dem Fenster, sehe ich nur auf Dächer und eine öde Straße; damals konnte ich die Augen nicht aufschlagen ohne daß sie auf die Nachbarinnen fielen die hinter dem klaren Fenster geschäftig waren; so viele Träume einer schönen Zukunft stiegen auf und ab, so viele Bilder glüklicher Tage die noch kommen sollten beschäftigten die Phantasie, und jetzt sind es wieder die Träume der Vergangenheit die mich mit einer schmerzlichen Freude erfüllen. Du siehst, ich habe noch nicht vergeßen, noch immer treibt mich eine gewaltige Sehnsucht immer mehr nach Norden und als ich vor einem Jahre im Süden war, war ich doch nicht ferner als jetzt. Alle Nachrichten schweigen von diesen Teutonionen [?], denn Haxthausen[15] schreibt gar nicht mehr Haßenpflug[16] auch nicht. - Haxthausen giebt jetzt in Gesellschaft mit dem Hornpeter (Peter von Hornthal[17]) ein periodisches Blatt heraus das den Namen der Wünschelruthe[18] führt, und hat Hey[19] u mich zum Mitarbeiten eingeladen. Die ersten 3 Probeblätter (den 1ten Jan 1818 fängt es an) enthalten aber blutwenig edles Metall, bes. ist eine Erzählung von dem verrükten Straube[20] pures Katzengold. Es ist merkwürdig, daß dergleichen gerade in Göttingen herauskommen kann, wo doch der alte Verstand zu Hause ist; freilich scheint er nach und nach dergestalt an Altersschwäche, ja an Marasmus zu leiden, daß die Kinder mit ihm Hutzeputz spielen, von Kritik haben die Herausgeber keine Jdee. Haxthausen hat mehrere Volkslieder hineinrüken laßen, die noch das beste sind. Neugierig bin ich ob es wohl ein Vierteljahr sich halten wird. Einige unsinnige Lieder will ich ihnen schicken, vielleicht sind sie unsinnig genug um der Gesellschaft würdig zu seyn.- Man erzählte mir Haxthausen habe in G. ein Buch druken laßen (worüber wußte niemand) es habe aber die Censur nicht paßirt, sey aber doch ausgetheilt worden; ich möchte wißen ob es des Unsinns wegen, oder wegen poltischer oder sonstiger anderer Anstände willen verboten wurde, ich hoffe auf Nachricht darüber. - Den 18ten ist großes Fest auf der Wartburg, 800 Studenten sind angekündigt um das Refor= mationsfest und die Schlacht bei Leipzig zu feyern, auch sollen Verhandlungen über die Allgemeine Verfaßung der Universitäten vorgenommen werden.[21] Der Herzog von Weimar hat befohlen ihnen allen Vorschub zu thun und hat 40 Klafter Holz zu einem Freudenfeuer anweisen laßen. Von Hannover ist ein sehr ängstliches Schreiben an die Regierung in Weimar ergangen, ob man auch von dem Vorhaben unterrichtet sey, ob nicht politische geheime Zwecke dahinter stehen könnten ? Wenn sie erst von der Hofrathsverschwörung wüßten wo Warrnkönig,[22] der jetzt in Holland angestellt ist, Rädelsführer war ! Der Herzog hat sehr über diese Besorgnisse gelacht, u. gemeint er könne doch die Leute nicht wegjagen, drum sollten sie in Eisenach Lebensml in großem Vorrath bereit halten, und damit kein Schade in den Wäldern geschehe, habe er Holz anweisen laßen. Der Mann ist doch vernünftig, wären sie alle so es wäre besser; und doch reden sie in Jena immer von Aufruhr und Empörung. Uberhaupt ist in dem kleinen Großherzogthum alles in Gang u. im gewaltig regen Leben, alles arbeitet gegeneinander, zankt, schimpft, verleumdet, läßt nichts unangetastet, aber kein Mensch schert sich darum oder läßt sich doch irre machen, jeder geht seinem Ziele zu, wird was gutes draus, nun so ist's schön und die Spötter und Gegner schweigen, wird’s nichts so redet man 8 Tage davon dann ist's vorbey der Unglückliche macht sich aber nichts draus, sondern fängt frisch wieder was anders von neuem an. Dem Herzog ist das nun gerade Recht, denn er machts nicht besser. Offenbar bösen Willen haben wenige und da ist's schwer ankämpfen gegen die beßern, die schreien und schimpfen und ärgern und publiciren können so viel sie Lust haben. Kurz es ist eine wahre Hetze; am Ende ist man doch wieder ein Stück vorgerückt, da man in andern Ländern auf einem Fleck bleibt, und doch schon zurückschreitet, wenn nicht, wie oft, schon so Rückschritte geschehen. - Hier zum Beyspiel ist es schrecklich todt; die Leute sind die Mäßigung selbst und rechte Philister: immer denken sie was wird der Hof und dann die Welt und der Herr Gevatter und Herr College dazu sagen ? Oder es könnte das ganze Land etwas in Miskredit kommen, wenn ein paar Hitzköpfe sich ordentlich herum= katzbalgen wollen, oder sich gar unterfangen die Masregeln der Regierung zu meistern. Da wird nun nicht mit Knüppeln aber doch mit der Feder drein geschlagen und ritz ratz der . . . gestrichen. Daher kommt nun ein allgemeiner schläfriger Mismuth, alles zieht sich zurück, ärgert sich im stillen krank, und schief, an wahres Vergnügen ist gar nicht zu denken, kurz man lebt wie im Himmel so einträchtig und möchte doch des klaren Teufels werden. Für mich sind die Cusinen zwar nicht gestorben und nicht verdorben. Aber die . . . hat sich verändert, eine ist verheirathet, die andere bey ihrem Bruder in der Fremde, die dritte hat die Anziehungskraft verloren, die vierte war immer schon langweilig etc etc. Kurz Du siehst daß ich recht habe wenn ich mich fechtend zurückziehe von der Welt und lieber dem Haxthausen Unsinn und Katzensilber unter seine Wünschelruthe schiebe, die dann munter zukippt und es unter die Straße trägt, und dann in den . . . der Welt, die aber freylich nichts draus fördert als Schlehen. - Beynah hätte ich mich auf die schlimme Seite gelegt und wäre ohne weiters unter die Jenaer Prügel . . . gegangen „wenn ich nur etwas davon hät“. Wer weiß was noch geschieht. Jetzt schreibe ich einen Roman den ich wohl Dichtung und Wahrheit überschreiben könnte, wär's nicht schon zu sehr abgedroschen. So weiß ich den Titel noch nicht. Er zerfällt in drei Abschnitte. Der erste fängt von meiner Bekanntschaft mit der Ralle an und geht bis zu der mit Auguste G. in Mariengarten[23] Der2te von da bis zum Abgang von Göttingen; und der dritte; von Fr. v. . . . Hochzeit bis zu Alphonsinens Tode. Du siehst daß ich selbst der Hauptheld bin; er wird in Briefen abgefaßt mit einigen Episoden die aber verdammt schwer sind, oft arbeite ich in Hemdeärmeln bey schweren Capiteln. Große Catastrophen, so recht romantische Romanscenen kommen freylich wenig vor; Ein paar Mondscheinspaziergänge, Alpenreisen, gern abgerechnet. Ich freue mich ordentlich auf manches als ob ich es noch einmal oder wirklich erleben sollte, von vielen weiß ich noch kein Wort, und erwarte von meinem Genius daß er es mir eingebe. Dieses . . . soll mich hoffentlich von der Despera= tion abhalten, oder vielmehr sie von mir; - ich war nahe daran „Leiden eines jungen Arztes zu schreiben“ aber ich wäre zu satirisch geworden, und am Ende hätte man mich so gut wie den Prinzen Gustino einsperren müßen, der seinen unseeligen Hund nicht für den angesehensten u. verdienstvollsten Mann im Königreich anerkennen wollte. - Das beste ist daß dieses Hundeleben kaum noch ein paar kurze Lustren[24] dauern kann; wahrhaftig J. P.[25] hat Recht der das bürgerliche Leben für das elendeste erklärt was auf Erden zu finden ist, daß es ein Wilder beynah beßer hat in den Nordamerikanischen Wäldern, und die verdammte Nützlichkeit, die Zucker- und Menschenraffinerien sind rein um toll zu werden. Aber ich sehe gar nicht ein warum ich mich so ungeheuer erbose. Es hilft nichts. Drum will ich für heute aufhören und zu Hey gehn, um mich mit ihm über das zu besprechen, was wir der Wünschelruthe zu wenden wollen.-

d. 15 Oct.

Wie die Zeit schnell vergeht, heute vor 11 Jahren, mir ist alles noch so ganz gegenwärtig, erscholl die Schreckensnachricht von der verlorenen Jenaer Schlacht. Die Tage fallen gerade wie damals; das war der Anfang der französischen Macht, und schon nahet sich der dritte Jahrestag seit ihrem Sturz; wer weiß wie es in wieder 11 Jahren aussieht ! Die Umwälzungen gehen jetzt so rasch, im Vergleich mit Sonst wie Pest und . . . . Im September waren Seuffert[26] u. Lücke[27] hier, wie sehr ich mich gefreut habe diese beyden lieben Leute zu sehn kannst Du Dir recht denken. Unglücklicherweise verfehlten sich Lücke u. Seuffert, indem ersterer später kam als er versprochen hatte, und alle Äußerungen seines Briefs zufolge mußte er uns vorbey= gereist seyn. Seuffert fürchtete nun Lücke in Würzburg zu verfehlen und reiste schnell ab, 2 Tage darauf traf Lücke ein. Ob er auf dem Rückweg in Würzburg war oder nicht, davon schweigt jetzt die Geschichte noch, ich will es wünschen. Wir waren zwar recht vergnügt, ich konnte mich aber doch ihrer An= wesenheit nicht so recht freuen, erstlich fanden sich so viel Prätendenten, die sie genießen wollten, und dann stand mir ihre schnelle Abreise so lebhaft vor den Augen, daß ich das quid sit futurum cras fuge quaerere[28] ganz vergaß. Nun hat die Geschichte aufgehört und alles ist wieder aus. - Ich muß mich nun wieder über die Anatomie hermachen, die ich ziemlich verschätzt habe, denn das ist meines Examinators starke Seite, womit er gern renomirt, besonders mit der Neurologie die gerade meine schwache Seite ist. Zum Glück habe ich Kupfertafeln genug, vielleicht nur zu viele, ich werde in meinem Zimmer einige von Walter[29] aufhängen um sie so besser zu studiren; und diesmal will ich verkehrt anfangen mit der Neurologia u. beyher das übrige durchnehmen denn fing ich mit der Osteologie an, so käme ich nie bis dahin, so aber kommt ziemlich alles auf einmal.


den 21sten October

So lange schon liegt dieser Brief, da bloß um Dir etwas von dem großen herrlichen Studentenfest in Eisenach, am 18ten, zu schreiben.[30] Erwarte keine Beschreibung von mir, die findest Du ausführlich in der Nationalzeitung, die doch auch wohl zu euch kömmt. Es ist jetzt ein anderer herrlicher Geist auf den Universitäten, wenigstens einigen wo er öffentlich auftreten darf wie Jena u. Heidelberg. Du hättest diese Ruhe und Ordnung bey der allgemein. Begeisterung sehen sollen. Dieselbe ist es wie 1813 u. 14 aber auf ein höheres Ziel gerichtet; Wißenschaft, Tugend und Freyheit. Um einen starken Bund zu schmieden, der um das ganze teutsche Vaterland reicht sind sie zusammengekommen nicht äußere Form, die doch wieder einstürzt, sondern die Idee soll alle verbünden. Vielleicht möchte die Oeffentlichkeit womit dieses geschieht nicht die rechte Art scheinen vielleicht nimmt es die Gestalt von Phanthasien an mit einer Tugend u. einem Gefühl das beßer im Herzen verborgen bliebe, aber das ist es nicht, es sollte einmal öffentlich und stark die Meinung der teutschen Jugend ausgesprochen worden sein, die noch in keine alte . . . . Form gezwängt ist, sondern sich immer neu gestaltet wie es der gewaltig einreißende Zeitgeist befiehlt, kann allein zeigen wie die Menschheit sein sollte. Hier wo noch keine dringenden Feßeln, keine Verhältniße und Rücksichten die Flügel der wahren Begeisterung beschneiden, kann das Wahre rein hervortreten. Furcht kennen sie ja ohnehin nicht; viele von ihnen haben auf den Schlachtfeldern von Bautzen[31] bis Paris gebluten oder dem Feinde tödliche Wunden geschlagen. Und was fürchtet überhpt der jugendliche Muth. „O wenn der Morgenwind der Jugend weht, [so] steht die innere Merkuriussäule hoch, gesetzt auch das äußere Wetter wäre nicht das beste.“[32] Wohl mag diese große feste Verbindung der edelsten Jünglinge Deutschlands die Schlechten mit bösem Gewißen änstigen. Ist doch in dem Programm deutlich ausgesprochen und noch mehr in den Reden voll Begeisterung auf der Wartburg und an den Freudenfeiern, daß der Zweck dieser Vereinigung einewißenschaftlich – bürgerliche Umwälzung in ganz Deutschland sey, woran jeder Gut und Blut, Leib und Leben setzen will. Die das Gute fürchten in ihrer Schlechtigkeit und ihrem bösen Willen, werden nicht ermangeln alles ins gehässigste Licht zu stellen und es einen geheimen gefährlichen Bund zu nennen. Gefährlich wird er ihnen wohl werden, aber geheim ist er ist [nicht]; Alles ist ausgesprochen worden frey ohne Rückhalt, ohne Umschweife vor einer Comißion die von Weimar aus dahingeschickt war, nicht um dem jugendlichen Muth Schranken zu setzen, sondern um ihnen die äußerlichen Schwierigkeiten zu ebnen. Oken, Kieser, Schweitzer u. Fries[33] waren zugegen und freuten sich herzlich. Die Göttinger, Berliner u. Leipziger schienen mit keinem guten Willen gekommen zu sein; ja wie ich höre sogar entschloßen Streitigkeiten anzufangen sobald es thunlich wäre, um die Landsmannschaften gegen die allgemeinen Verbindungen, die man zu behindern sucht, zu schützen und diese zu stürzen. Aber diese Ansicht wie sie ausgesprochen wurde, die nicht an kleinlichen Urtheilen und Vorurtheilen klebt, sondern mit Religion, Vaterland und Wißenschaft so genau verknüpft ist, beschämte sie alle. Jeder einzelne würde gewiß die Hand dazu gereicht haben aber jeder schämte sich etwas vor dem andern zu thun. Von Gießen waren zwey Partheien zugegen, die schon lange in der bittersten Feindschaft lebten. Sie trugen ihre Streitigkeiten öffentlich ohne Rückhalt vor, und durch die Vermittelung der Jenenser versöhnten sie sich öffentlich. Von Göttingen waren kaum 90 zugegen, von Jena gegen 300. von Kiel 29. von Rostock, Marburg, Königsberg, auch im Verhältniß mehr als von G. Uberhaupt gieng alles von Jena aus, wo ein freyer Geist herrscht, und forschen kann, da man alles thut um ihn zu befördern, während er an andern Orten schmählich unterdrückt wird. In jener großen Versammlung am 19ten wurden 10 Reden gehalten, 6 aus dem Stegreif, die die besten waren. Keine Streitigkeit fiel vor, die Eisenacher schätzten sich glücklich der Schauplatz dieser Feier zu seyn. Die Bürger erboten sich zu Quartiren; im Hauptquartier wurden die Billete vertheilt. - Als wir am 18ten aus der Kirche kamen, schloßen wir uns an den Landsturm an, unsere und die Landsturmsfahne wurden zusammen aufgestekt und ein allgemeines Festlied auf dem Markt gesungen. Mehre preußische Offiziere waren zugegen. Beym Feuer wurden 20 Bücher verbrannt; worunter Kotzebues u. Ancillons Deutsche Geschichte, Werners Luther und Söhne des Thales, Schmalz Dabelow, Kosegarten, die Alemannia. . . . ein heßischer Zopf, eine preußische Uhlanenschnürbrust und ein österreichischer u. Nassauischer Korporalstock. Du wirst das alles genauer lesen. In Jena kommt von jetzt an eine Burschenzeitung heraus[34], die ersten Blätter werden eine getreue Darstellung des Festes geben. Wie sehr hätte ich Dich u. Holweg[35] hergewünscht. Jhr hättet gewiß lebhaften Antheil an diesem herrlichen Bund genommen. Mehrere Catholiken bekannten sich hier zuerst öffentlich zur protestantischen Kirche; ein seltner Fall, aber ein gutes Zeichen der Zeit. Jetzt verzweifle ich nicht mehr an dem lieben deutschen Vaterlande. Die Philisterei wird und muß zu Grunde gehn. Lebe nun wohl Du Lieber, und schreibe mir bald, vergiß nicht mir mehr über Holweg zu schreiben wie gern nehme ich an allem Antheil was euch betrifft, und billig sollte keiner dem andern das was er für das höchste hält vorenthalten. Ewig Dein F. Empfiehl mich Deinem Vater; Schlichtegrolls[36], und wer sich sonst meiner erinnert.


Nachtrag:

Wilhelm Soemmerring studiert mit Fritz Jacobs zusammen in Göttingen und repetiert mit ihm die Anatomie; so berichtet Friedrich Jacobs in seinem Nekrolog auf seinen ältesten Sohn.[37]

Einzelnachweise

  1. Zu Friedrich Wilhelm Josias JACOBS, 1793-1833, s. Dt. Geschlechterbuch, Bd. 214, Limburg 2002, S. 492f und https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Josias_Jacobs
  2. Zu Detmar Wilhelm SOEMMERRING: https://de.wikipedia.org/wiki/Detmar_Wilhelm_Soemmerring
  3. Wahrscheinlich die Schauspielerin Fanny, eigentlich Franziska CASPERS, 1787-1835, aus der Gothaer Zeit lebenslange Freundin der Goethe-Malerin Louise SEIDLER, die sie auch portraitiert hat; letztere war eine Cousine des Briefschreibers
  4. Demnach wäre Friedrich Lücke am 28. August geboren, in Wirklichkeit ist er am 24. August 1791 in Egeln /Elbe geboren. Wikipedia bringt fälschlich den 24. Juli; zu LÜCKE u. SEUFFERT vgl. Anm. 25 bzw. 26
  5. Detmar Wilhelm SOEMMERRING, 1793-1871, verfasste in Göttingen 1816 seine Promotion über die Anatomie des Auges unter dem Titel: „De oculorum hominis animaliumque sectione horizontali commentatio.“, Göttingen 1818
  6. Der Vater von Detmar Wilhelm SOEMMERRING, Prof. Dr. med. Samuel Thomas von SOEMMERRING, 1755-1830, damals seit 1805 in München, war ein begeisterter Sammler von anatomischen Präparaten etc; nach abgeschlossenem Studium hielt sich Detmar bis 1819 einige Zeit bei seinem Vater in München auf und veröffentlichte dort zwei wissenschaftliche Abhandlungen. Wahrscheinlich ist während dieser Zeit auch sein Portrait von STIELER entstanden.
  7. Philipp Franz von WALTHER, 1782-1849, wurde 1804 nach Landshut als Professor für Physiologie, später auch für Chirurgie berufen und gewann hier großes Ansehen als Chirurg und Augenarzt, 1818 nach Bonn, 1830 München.
  8. Ph. Fr. WALTHER, Ueber die Augenentzündung, ihr Wesen und ihre Formen, in: Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Medicin besonders der Augenheilkunde, 1. Band, Landshut 1810, S. 359
  9. Ders., Ueber die Krankheiten der Crystallinse, und die Bildung des Staares, a. a. O., S. 1
  10. Dieses jetzt entdeckte Portrait wurde vom Auktionshaus Eva Aldag, Buxtehude aus dem Nachlass Samuel Thomas Soemmerring (1755 – 1830) auf der Auktion 193 v. 31.5.2014 unter der Nr. 131 mit Limit 12.000 € angeboten. „Das Gemälde wurde nicht versteigert, es wurde erst später im Freiverkauf für EUR 5.960,- zzgl. Aufgeld verkauft. Der Käufer ist namentlich nicht bekannt.“ (Auskunft des Auktionshauses Aldag)
  11. Petrarca, aus 293. Sonett: „Nicht kannte sie die Welt in ihren Tagen / Nur ich, der, um zu jammern, hier geblieben“; Friedrich Wilhelm Josias Jacobs (1793-1833) hat mehrere Gedichte und Sonette verfasst, oft zusammen mit seinem Freunde, dem Fabeldichter und Pastor Johann Wilhelm HEY („Alle Jahre wieder kommt das Christuskind . . .“)
  12. Würzburg, das JACOBS im Okt. 1816 verlässt, um nach München zu gehen. Am 30. Nov. 1816 kommt er in Wien an, wo er sich fast ein Jahr aufhält und kehrt also Ende 1817 nach Gotha zurück, wo er seine ärztliche Tätigkeit aufnimmt (s. Martin RUDOLPH, „Societas Philologica Gottingensis. Christian Carl Josias Bunsen und sein Göttinger Freundeskreis 1809 / 1815.“, SS. 59-160, über den Briefschreiber S. 131f und 153f, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bände 46-47, Hildesheim 1975)
  13. Dr. med. Ernst Friedrich Wilhelm BUDDEUS, 1783-1861, prakt. Arzt, Reg.- und Ober-Medizinalrat und Stadtphysikus zu Gotha, Mitglied der Herzogl. Landes-Regierung, Mitbegründer der Gothaer Versicherung (sein Bild in der Gruppe der Sieben Weisen Alt-Gothas, gez. v. Emil JACOBS); er behandelte die 1822 ausgebrochene Epilepsie des Briefschreibers
  14. Dr. med. Johann Carl RUPPIUS, 1786-1866, Hofrat und Leibarzt zu Gotha. Nach dem Frieden von 1815 ließ sich Ruppius in Gotha nieder, wo er die Anatomisch-Chirurgische Lehranstalt leitete und dort auch Vorlesungen in Anatomie hielt; er war verheiratet mit der Musikerin Caroline geb. SCHLICK, * Gotha 1789, die die Herzogl. Hofmusiken veranstaltete; sie war eine Tochter des deutsch-italienischen Musiker-Ehepaars Schlick/Strinasacchi, und wird in den (im Familienarchiv Jacobs verwahrten) Brautbriefen der Schwester Marie Gabriele Jacobs des Briefschreibers öfters erwähnt.
  15. August Franz Frhr. v. HAXTHAUSEN, 1792-1866, war Agrarwissenschaftler, Nationalökonom, Jurist, Landwirt und Schriftsteller sowie Volksliedersammler, er studierte 1815-1818 in Göttingen
  16. Wohl Ludwig HASSENPFLUG, 1794-1862, Jurist, kurhessischer Minister, studierte 1812-16 in Göttingen; heiratete eine Schwester der Gebr. GRIMM; verfasste Jugenderinnerungen 1794-1821, Bd. 4 von Quellen zur Brüder Grimm-Forschung, hg. v. Klaus Hassenpflug
  17. Johann Peter von HORNTHAL, 1794-1864, Jurist, Politiker u. Schriftsteller; gibt 1818 zusammen mit Heinrich STRAUBE (1794-1847) die romantische Literaturzeitschrift Die Wünschelruthe heraus.
  18. DIE WÜNSCHELRUTHE war eine Göttinger Zeitschrift der Spätromantik. Sie erschien von Januar bis Juni 1818 zweimal wöchentlich mit dem Untertitel „Ein Zeitblatt“ bei Vandenhoeck & Ruprecht. https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:W%C3%BCnschelruthe#/media/File:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_p_01.jpg
  19. Johann Wilhelm HEY, 1789-1854, D. theol. h. c., 1814-1818 Lehrer Gotha, dann Pfr. zu Töttelstedt, 1827 Hofprediger zu Gotha, 1832 Superintendent von Ichtershausen, der Fabeldichter, Freund des Briefschreibers, Mitglied der Societas Philologica Gottingensis
  20. Heinrich STRAUBE, 1794-1847, Oberappellationsgerichtsrat zu Kassel, Student der Rechte zu Göttingen, zu ihm hatte 1819 die Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff ein Liebesverhältnis, ihre Mutter war eine geb. v. HAXTHAUSEN (http://www.arnswald.de/droste-huelshoff.html)
  21. Das erste Wartburgfest, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Wartburgfest
  22. Gemeint ist Leopold August WARNKÖNIG, 1794-1866, Jurist, geht 1817 an die Univ. Lüttich
  23. Mariengarten ist ein ehem. Zisterzienserinnen-Kloster, heute Klostergut in der Nähe von Göttingen
  24. Lustrum, römisch, einen Zeitraum von fünf Jahren
  25. J. P. ist Abkürzung für den Schriftsteller Jean Paul RICHTER, 1763-1825
  26. Johann Adam v. SEUFFERT, 1794-1857, Prof. jur. Univ. Würzburg, dann Tätigkeit als Richter
  27. D. theol. Gottfrief Christian Friedrich LÜCKE, 1791-1855, Abt zu Bursfelde, Prof der Theologie zu Göttingen
  28. Horaz: quid sit futurum cras, fuge quaerere = Was morgen sein wird, vermeide zu fragen.
  29. Philipp Franz v. WALTHER, s. Anm. 7
  30. Autor nahm im Jahre 1817 an dem ersten Wartburgfest der studentischen Burschenschaften teil und trug sich in der Präsenzliste als „Dr. Friedrich Jacobs aus Gotha“ ein.
  31. Die Schlacht bei Bautzen, am Triumphbogen in Paris auch Schlacht bei Wurschen genannt, fand am 20./21. Mai 1813 nahe der Stadt Bautzen statt im Zuge der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich
  32. Zitat aus Jean Paul Richter; 'Merkuriussäule' meint die Quecksilbersäule des Barometers
  33. Mehrere Professoren der Universität Jena nahmen teil, die zu den sog. politischen Professoren an der Universität zählten, namentlich die Mediziner Dietrich Georg von Kieser und Lorenz Oken, der Historiker Heinrich Luden und der Philosoph Jakob Friedrich Fries, sowie der Jurist Christian Wilhelm Schweitzer; sie waren von dem patriotischen Eifer tief beeindruckt.
  34. Zeitung „ISIS“, hg. vom Prof. Lorenz OKEN
  35. Gemeint ist Moritz August v. BETHMANN-HOLLWEG, 1795-1877, der spätere preuß. Minister und Professor, der zusammen mit dem Arztsohn Detmar Wilhelm SOEMMERRING (1793-1871) unter Leitung ihres Erziehers, des späteren Geographen Carl RITTER (1779-1859) von 1811 bis 1812 nach Genf zur weiteren Ausbildung ging. Beide studierten dann in Göttingen, Bethmann-Hollweg Jura und Soemmerring wie der Briefschreiber Medizin. Nach seiner Promotion 1816 in Göttingen geht S. bis 1819 zu seinem Vater, dem bedeutenden Anatomen Thomas Samuel v. SOEMMERRING nach München. Dort trifft ihn wohl der Briefschreiber wieder im Okt/Nov. 1816 auf der Reise nach Wien; darauf nimmt evtl. der Anfang des Briefes mit dem Satz „die schöne Zeit die wir zusammen in M. zubrachten“ Bezug, oder es ist die Zeit von 1807-1810 gemeint, in der beide Familien Soemmerring und Jacobs in München lebten. Friedrich Jacobs schreibt in seiner Autobiographie 'Personalien', S. 130 bei seinem Abschied aus München: „ . . . erhielt ich einen Besuch von Sömmerring, der immer an mir und den Meinigen den freundlichsten Antheil genommen hatte.“- In das Stammbuch des Detmar W. Soemmerring schreibt der Briefschreiber in Göttingen am 22. März 1816: “Wir trennen uns nur auf kurze Zeit lieber Sömmering, und ich weiß wir werden uns nie fremd werden. Lebe wohl so lange und komme bald nach Deinem F. Jacobs.“ (Univ.-Bibl. Goettingen, Cod. Ms. 1996.24 : Bl. 18 v). Wolfg. PFAUCH, Carl RITTER-bedeutender Geograph und Freund Alexander von Humboldts, in: A.v. H. u. Gothaer Gelehrte, Heft zur Ausstellung Urania Gotha 1999 Die Erwähnung von Bethmann-Hollweg (als HOLWEG) ist ein weiteres Indiz für den Adressaten dieses Briefes: der Freund Detmar Wilhelm SOEMMERRING in München !
  36. Adolf Heinrich Friedrich v. SCHLICHTEGROLL, 1765-1822, Bibliothekar und Philologe, war 1807 einer Berufung an die Bayer. Akademie der Wissenschaften in München gefolgt, an der auch der Vater von SOEMMERRING seit 1805 tätig war. Schlichtegroll bewog auch seinen Freund Friedrich JACOBS, den Vater des Briefschreibers, 1807 eine Berufung nach München anzunehmen, die jedoch 1810 wieder aufgegeben wurde. Der Sohn Nathanael v. SCHLICHTEGROLL (1794-1859) war, wie der Briefschreiber, auch Mitglied der Societas Philologica Gottingensis.
  37. Friedrich Jacobs, Vermischte Schriften, Bd. 7 Personalien, S. 561

Urheberrechtshinweis

ARCHIV DER SCHLESWIG-THUERINGISCHEN FAMILIE JACOBS Werkverzeichnis Gothaer Hofmaler Paul Emil JACOBS http://blog.familienarchiv-jacobs.de/ Deutsches Geschlechterbuch (DGB), Bd. 214, S. 267-946 Pastor Rudolf W. L. Jacobs, Friedrich-Ebert-Str. 43,   D - 59425 Unna, Tel. 02303 158 52 e-mail: rwljacobs@aol.com