Bäuerliche Grabdenkmäler in Thüringen

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Ein Aufsatz von Georg Hummel

Trotz der allgemeinen Vernachlässigung der bäuerlichen Friedhofsgestaltung im 19. Jahrhundert und auch in jüngster Zeit trifft man in Thüringen würdig gepflegte und stimmungsvolle Friedhöfe an. Eine besondere Überraschung erlebt dort der Besucher, wenn er auf einen jener Figurengrabsteine stößt, die noch hier und da erhalten sind. Da steht dann plötzlich wie lebend die Gestalt eines längst Verstorbenen vor ihm, steif und feierlich, und hält ihn in ihrem Bann.

Meistens stehen die Figuren in Hochrelief vor einer Rückwand, die sich zuweilen zu einer Flachnische mit Pilastern und Gesims zurückwölbt. Ornamente, Schrifttafeln und Kartuschen mit Sinnbildern rahmen sie ein. Die Rückseite, zuweilen auch die Vorderseite, trägt eingemeißelt Namen und Lebensdaten der dargestellten Person. Die Bekrönung der Platte ist meist ein Aufsatz in Form einer Urne, einer Sonne mit geflügelten Engelsköpfen oder ähnlichem. Die Grabsteine, die einschließlich des Aufsatzes oft eine Höhe von zwei Metern erreichen, standen ursprünglich frei am Grabhügel und waren daher von beiden Seiten sichtbar. Heute stehen sie zum großen Teil an der Kirchenwand oder an der Friedhofsmauer. Genau von vorn gesehen, strömen diese Gestalten einen feierlichen Ernst aus, der sich nur selten ins Empfindsame (Elxleben an der Gera) oder ins Ornamentale (Windischholzhausen) wandelt. Das Kerngebiet dieser eindrucksvollen Totenmale ist die Gegend um Erfurt und Gotha. In anderen Gebieten Thüringens, vor allem in der Vogtei, sind sie seltener zu finden. Obwohl seit dem 15. Jahrhundert in der Grabmalkunst der mittelalterliche Figurengrabstein von dem Epitaph zurück- gedrängt worden war, hatte er sich in Thüringen doch noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein behaupten können. Vielleicht war es die Fülle künstlerisch bedeutender Grabplatten aus Erfurts Glanzzeit, die den Bauer in der Umgegend der Stadt zur Nachahmung angeregt hat. Als er aber diese alte Sitte aufgriff, ging sie in der städtischen Kunst bereits ihrem Ende entgegen. Auch hier war es, wie oft im bäuerlichen Leben, so, daß der Bauer, keiner Stilkunst verpflichtet, sich in ihr nur Vorbilder suchte, um sie dann aber in seinem Sinn umzudeuten, zu verändern. Der bekannte Obelisk von 1722 in Seebergen - man ist versucht, ihn an den Anfang der Entwicklung zu stellen - trägt noch sehr deutlich das Gepräge städtischer Herkunft. Er wurde auch nicht für einen Bauern, sondern für einen schwarzburgischen Akziseeinnehmer, also einen herrschaftlichen Beamten, errichtet. In den Formen des Ornaments und der Schrift macht sich noch der Schwulst des hohen Barocks breit. Das hier dargestellte Thema einer im Kindbett verstorbenen jungen Mutter läßt an die später in größerer Zahl auftauchenden bäuerlichen Steine denken, bei denen gerade diese Darstellung eine besondere Rolle spielen sollte. Die Blütezeit der dörflichen Grabmalkultur umfaßte un- gefähr siebzig Jahre, etwa die Zeit von 1720 bis 1790. Wer sich die Mühe macht, die Steine nach stilistischen Merkmalen zu datieren, wird erkennen, daß sich hier eine Stilentwicklung konstruieren läßt. So trägt z. B. die wie eine Rocaille bewegte Gestalt in Windischholzhausen deutlich die Merkmale der Rokokozeit, auch machten sich in der formalen Ernüchterung mancher Steine unmißverständlich Stilformen des ausgehenden Jahrhunderts geltend. Es ist sogar möglich, Persönlichkeiten von Bildhauern oder Steinmetzen zu erkennen, von denen die meisten wahrscheinlich in den Städten gearbeitet haben. Aber. zuweilen stoßen wir auch auf sehr rohe Arbeiten, die man wohl als Gelegenheitsarbeiten ungelernter Dorfbewohner ansprechen muß.

All diese Grabsteine stehen formal an der Grenze von Stilkunst und Volkskunst. Das aber ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, was sie über die formalen Unterschiede hinweg miteinander verbindet: ihr Inhalt und ihr Ausdrucksvermögen, und das macht es uns möglich, sie in das Gebiet der Volkskunst einzureihen. Nicht die Einzelformen, die den verschiedenen Stilphasen des 18. Jahrhunderts entnommen und meist aus ihrem Zusammenhang herausgelöst sind, sind wesentlich, ja auch nicht die mehr oder weniger bescheidene Schöpferkraft des: Bildhauers, sondern die volkskundliche Eigenart, die aus diesen Steinmalen vernehmlich spricht. Wenn sie auch mit jenen Gegenständen der Volkskunst, die der Bauer mit ungeschulter, , aber liebender Hand fertigt, nichts zu tun haben, so gehören ‚sie doch nicht weniger zum bäuerlichen Volksgut als der in der Stadt geschmiedete Bauernschmuck und manches andere. Fragen wir nach der Ähnlichkeit der Gesichter, so werden wir spüren, daß die meisten der Dargestellten vielmehr Menschen- typen als Bildnisse sind. Immerhin gibt es - hauptsächlih männliche - Figuren von sprechender Eigenart. Was uns die Gestalten so menschlich nahebringt, ist ihre realistische Darstellung, die sich vorwiegend auf die Kleidung und die sinnbildlichen Beigaben erstreckt, andererseits aber scheinen diese Menschen, die steif und wie erstarrt vor uns stehen, Leben und Tod besiegt zu haben. Dieser eigenartige Gegensatz verbindet auf sonderbare Weise den Betrachter mit dem Betrachteten. Es ist oft so, daß der Besucher bereits beim Betreten des Friedhofs wie von unsichtbarer Hand zu diesen vielfach von Blattwerk umrankten steinernen Menschen hingezogen wird. Darum sprechen sie auch heute nach zweihundert Jahren genauso ein- dringlich wie einst, als noch jeder Dorfbewohner den Verstor- benen kannte, und es ist, als nähmen die Verstorbenen noch teil am Schicksal der Lebenden. Damit werden sie zu einem Denkmal der Verbundenheit alles bäuerlichen Lebens in Vergangenheit und Gegenwart.

Am häufigsten treffen wir Gedenksteine, die für im Kindbett verstorbene Mütter, für junge Mädchen und für früh verstorbene Kinder errichtet wurden. Einen ganz besonderen Zauber strahlen die Gestalten der im blühenden Alter verstorbenen Bauernmädchen aus. Was das Leben der Jungfrau versagt hat, das hat ihr nach dem Tode der Meißel des Bildhauers gegeben: die Brauthaube und den Rosmarinstengel, den sie in der Hand hält. Wie diese bräutlichen Symbole zu verstehen sind, darüber belehren uns Inschriften, wie jene in Urbich:

"Ich bin dem Bräutigam Als Jungfrau nachgegangen Und hab dem Himmelslamm Getreulich angehangen. Nun lebe ich bey Ihm In seinem Hochzeitshaus Und mein vollkommen glik Wird nun und nimmer aus."

Von den wenigen Versen, die uns heute noch erhalten sind, seien Worte der Trauer und des Trostes auf einem Stein in Niederzimmern wiedergegeben:

"Ich sollt des Vaters Trost Und Stab im Alter werden. Allein der Todt nahm mich Gar bald von dieser Eden. Betrübter Vater, weinet nicht, Und ist sehr wohl geschehen. Wir werden bald in kurzer Zeit Einander wiedersehen."

Nicht nur Jungfrauen, sondern auch Jünglingen, denen der frühe Tod die Ehe versagt hatte, setzte man einen Gedenk- stein. Doch geschah das seltener. Der im Kindbett verstor- benen Mutter hat man in die Arme ihr Liebstes gelegt, dem sie ihr Leben zum Opfer gebracht hat. Hier reichen sich Leben und Tod die Hand. Die kleinen Lieblinge, die ein grausames Schicksal den Eltern zu früh geraubt, stehen ebenso steif und feierlich wie die Großen vor uns, so, als hätte es bei ihnen niemals ein frohes Kinderlachen gegeben.

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Georg Hummel

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