Die Geschehnisse betreffend, auf dem alten Gottesacker zu Gotha, an Walpurgis 1874.

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Gothaisches Tageblatt vom 7.Mai 1874, Nr. 106

Bekanntmachung demjenigen, welcher die Urheber des auf dem Friedhof Nr. 1 im STARKLOFF'schen Erbbegräbnis verübten Frevel so bezeichnet, daß ihre Verurteilung und Bestrafung erfolgen kann, wird eine Belohnung von 100 Thalern zugesichert. Gotha, 7. Mai 1874 Der Staatsanwalt gez. Morchutt.[1] (Diese Bekanntmachung ist sowohl im Tageblatt als auch in der Goth. Zeitung wiederholt worden.)

Goth. Zeitung nebst Regierungs- und Intelligenzblatt f. d. Hzgt Gotha. Sonnabend, den 2. Mai 1874.

Gotha 1. Mai. Die Kunde von einem Akt der abscheulichen Rohheit durchflog heute Mittag, als wir eben die Zeitung zur Presse fertig machten, die Stadt. Wir haben es vorgezogen, uns selbst erst an Ort und Stelle vom Tatbestand zu überzeugen, ehe wir eine Nachricht davon brachten, an deren Begründung wir noch immer nicht zu glauben vermochten. Leider würde die Nachricht begründet gewesen sein. In Gotha sind wirklich unsere Toten in der stillen Familiengruft, in der die Liebe ihrer Familienangehörigen sie birgt, nicht einmal sicher vor der ruchlosen Hand, welche roh den geheiligten Schlaf der Toten zu stören wagt; Jn unserem Gotha werden Familiengrüfte er brochen und die Leichen werden hinausgeschleudert zwischen die leeren, von der Verwesung gesättigten Särge ! Wir begaben uns nach Schluß des Blattes sofort an Ort und Stelle. Eine neumoderne Art Wallfahrt – junge blühende Mädchen, ältere Frauen, den Säugling im Arm, Männer jeg= lichen Alters, welche zum Ort des Grauens eilten – wies uns den Weg der Eisenacher Straße hinauf zum alten Friedhof und in seine linke Ecke hinter die grünen Jalousieen hinein. Wir standen im STARKLOFF'schen Familienbegräbnis. Eine kurze Tüncherleiter, bespritzt noch von den Kalkspuren der letzten Tagesarbeit, führt aus den dichtgedrängten Reihen der Lebenden, die neugierig herzugekommen sind, hinab in das stille Reich der Toten.

Und drunten liegen sie, diese Toten, aber wie liegen sie ? Hüben und drüben von der Leiter sind Särge – hüben drei oder eigentlich wohl vier, drüben zwei Kindersärge und ein größerer darüber. Sämtliche Särge, hüben und drüben, sind aufgebrochen worden ! Über die meisten ist der Sargdeckel wohl wieder zurückgelegt, wenn auch verschoben, aus dem frischesten Sarg aber, an welchem der Deckel nur schräg herauf= gelehnt ist, starrt die öde Leere hervor, nur blutige Spuren der Verwesung auf dem weißen Linnen, zwischen welchen das welke Blaßgrün der in die Gruft mitgegebenen Jmmortellenkränze herein- sieht und der zeitherige Jnsasse des Sarge[s] liegt mit dem Gesicht zur Erde gewandt, der Rumpf in jenem Braun der fortschreitenden Zersetzung, welche ihr Werk noch nicht ganz vollendet hat, zwischen diesem und dem unmittelbar daneben stehenden Sarg eingeklemmt. Auch der daneben stehende Sarg ist geöffnet, der Deckel am Kopfende

zurückgebrochen und ein Totenbild, an welchem die Zersetzung ihr Werk bereits längst vollendet hat, nur die langen dünkelen Zöpfe noch von der unkenntlich gewordenen Kalkscheibe, welche die Stelle des Kopfes einzunehmen scheint, starrt daraus den entsetzten Beschauern entgegen. Zwischen den beiden Reihen der Särge aber ist eine verwitterte Hinschale, die vielleicht beim frevlen Durchsuchen der Särge abging, achtlos auf den Steinboden gekollert. Es st ein wahrhaft entsetzliches Bild, welches diese Scene darbietet. Es ist als wenn es eigens dazu bestimmt wäre, für die Neuerung der Leichenverbrennung, für welche jetzt so viel Agitation gemacht wird, auch hier eine recht drastische Propaganda zu machen. Die Leiche, die aus ihrem Schlummer so frevel herausgerissen und neben den Sarg der Mutter hingeschleudert wurde, ist erst seit dem 15. Dezember vorigen Jahres bestattet worden; die Mutter liegt seit vielleicht 15 Jahren im Sarge. Was die Motive zur Freveltat sind ? Man kann darüber natürlich noch nicht urteilen; persönliche Rache, Gehässigkeit gegen die Tote oder ihren überlebenden Gatten, welche durch Schändung der Leiche der einen den pietätvollen Schmerz des andern noch schwerer verletzen möchte, kann's aber auf keinen Fall gewesen sein. Denn die Verstorbene ist allgemein als ein so braves und stillfriedliches Wesen bekannt, daß, als sie aus dem Leben heraus schied, sie im Leben gewiß nirgend Haß zurückgelassen haben kann und ihr überlebender Witwer hat an Anspruchslosigkeit und Friedfertigkeit des Charakters von jeher seiner ihm vorangegangenen Frau geglichen. Weit näher liegt daher die Wahrscheinlichkeit, daß nur verbrecherische Raubgier, unter den Toten nach Gaben der Liebe, welche sich etwa zu Geld machen ließen, gesucht haben mag. Die Leiche ist übrigens heute Abend noch, wie wir erfahren, von den Hinterbliebenen wieder in ihren Sarg zurückgebettet worden !

Goth. Zeitung vom 8.5.1874: Nr. 107

Gotha, 5. Mai. Die letzten Ereignisse, welche sich kürzlich auf dem ältesten Gottesacker in empörendster Weise zugetragen haben, dürften es rechtfertigen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese geweihte Stätte nochmals hinzulenken und die Frage zu stellen, ob es nicht an der Zeit ist, den alten Gottesacker umzugestalten. Abgesehen davon, daß ein öffentlicher Begräbnisplatz in unmittelbarer Nähe bewohnter Straßen liegt, wird derselbe täglich mit dem Dunkelwerden geschlossen und bietet, wie es sich gezeigt hat, des Nachts allem Gesindel ein sicheres Asyl, von wo aus ungestört Schandtaten und allerhand Diebereien ausgeführt werden können. Der Gedanke, wohl auch der Wunsch, diesem Übelstand abzuhelfen, dürfte daher sehr nahe liegen, denn die Passage durch die Eisenacher Straße ist keine angenehme. Zu gewissen Jahreszeiten ist es dann z. B. kaum möglich ohne Aufopferung der Garderobe durchzukommen, weil der dürftige, schmale Fußweg an den Häusern entlang oft unpassierbar ist, weil die Häuser keine Dachrinnen besitzen und die fallende Chaussee der vielen Lastwagen wegen erheblich schmutzig und gefährlich für Kinder wird. Es könnte daher im Anschluß an die helle, schöne Promenade, die ja die ganze Stadt umgibt, sehr leicht ein Weg, der nicht allein allen Fußgängern, sondern auch allen Leidtragenden, die in ungestörter Weise einen der vielen Gottesäcker erreichen wollen und aufsuchen müssen, geschaffen werden, wenn vom Auerbach'schen Grundstück aus über den ältesten Gottesacker nach dem nördlichen Ausgange desselben hin ein breiter Promenaden= weg geschaffen und die alte Kirche abgetragen würde. Der Weg selbst, durch eine leichte Befriedigung begrenzt, würde das einstweilige Bestehen der Familienbegräbnisplätze in keiner Weise alterieren, diese aber, abgesehen davon, daß sie nicht mehr zeitgemäß sind, würden ungleich geschmackvoller werden, wenn die Dächer abgetragen oder ganz zugeschüttet werden könnten. Noch besser erscheint es, wenn man auf einem Gottesacker, der voraussichtlich im Betriebe bleiben wird, so viele Stellen für Erbbegräbnisse als Ersatz böte, als durch Aufhebung jener notwendig werden. Wie bald würde dann auf dem alten Gottesacker ein neuer, wenn auch kleiner aber durch schöne Aussichten reich ausgestatteter Stadtteil erstehen. Sollten diese Worte im Publikum eine günstige Aufnahme finden, dann säume man nicht, sondern lege kurz entschlossen Hand ans Werk und der Dank wird auf dem Fuße folgen.

Einzelnachweise

  1. Friedrich Franz Anton MORCHUTT, gen. Toni, * Fulda 6..3.1828, + Waltershausen Sept. 1874 auf einer Dienstreise, Erster Staatsanwalt in Gotha, oo Georgenthal 18.5.1862 Agnes HÄRTER, 1845-1915, To. des Justizamtmanns Friedebald H. zu Georgenthal (JACOBS-Nachkomme über KIEL) u. der Henriette Louise Caroline BRÜCKNER (vgl. Carl Jacobs, Erinnerungen, S. 147-152, der Morchutts Nachfolger wurde). Quelle: DGB Bd. 214, Limburg 2002, Anhang Jacobs, Töchternachkommen, S. 514 ff

Urheberrechtshinweis

ARCHIV DER SCHLESWIG-THUERINGISCHEN FAMILIE JACOBS Werkverzeichnis Gothaer Hofmaler Paul Emil JACOBS http://blog.familienarchiv-jacobs.de/ Deutsches Geschlechterbuch Bd. 214, S. 267-946 Pastor Rudolf W. L. Jacobs, Friedrich-Ebert-Str. 43, Postfach 1406, D - 59404 Unna Tel. 02303 158 52; e-mail: rwljacobs@aol.com Juli 2016