Neues zum Liebknecht-Mord

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Neues zum Liebknecht-Mord

Die Photographien der Leiche als neue Beweise.

Transkribierter Artikel vom 16. April 1925:

"Wir sind in der Lage, heute zum ersten Male die bisher ver­borgen gehaltenen Photographien des Leichnams Liebknechts und die Indizien, die sich aus den Bildern ziehen. lassen, zu veröffentlichen. Die Publizierung dieser Beweisstücke verfolgt keinen politischen Zweck, sie soll zur Klärung einer Tat beitragen, die, obzwar nur mehr von histori­scher Bedeutung, dennoch bis heute im Dunkel geblieben ist.

Oberer Teil des zweiseitigen Originalartikels

In den Abendstunden des 15. Jänner 1919 verhaftete die Wilmersdorfer Bürger­wehr, unter Führung ihrer Mitglieder Lindner und Mehring, Karl Liebknecht. Er hielt sich in der Wohnung des Kaufmanns Marcussohn auf. Als man ihn nach seiner Identität befragte, leugnete er anfangs, gab aber dann zu der Gesuchte zu sein. Wurde er überhaupt gesucht? Es existierte kein Haftbefehl gegen ihn und seine Festnahme durch die Wilmersdorfer Bürgerwehr war ein eigenmächtiges Vorgehen dieser Ordnungstruppe. Liebknecht wurde in das Eden Hotel überführt und dort beim Stab der Garde-Kavallerie- Schützendivision eingeliefert. Im Hotel kommandierte ein Oberst­leutnant Hoffmann, ein Sohn des deutschen Friedensunterhändlers in Brest- Litowsk. Unter dessen Vorsitz begann das Verhör mit Liebknecht. Kurz darauf wurde auch Rosa Luxemburg eingeliefert. Der Kommandant gab um zehn Uhr den Befehl, Liebknecht und Frau Luxemburg in das Gefängnis nach Moabit zu über­ führen. Unterdessen versammelten sich, wie aus den Angaben eines Stuben­mädchens klar hervorgeht, die Jäger Runge, Dräger, der Chauffeur Göttinger und der Sergeant Probst und verabredeten, Liebknecht zu ermorden. Einer von ihnen machte den Einwand, dass Schüsse zu viel Lärm und Aufsehen machen; man beschloss daher, die Ge­fangenen mit dein Kolben zu erschlagen. Als Liebknecht um halb elf Uhr abends durch einen Nebenausgang aus dem Hotel in die Kurfürstenstraße geführt wurde, wo ein Transportauto bereits wartete, schlugen diese Gesellen auf ihn los. Mit Mühe erreichte Liebknecht das Auto. Nun kam Runge um das Hotel herumgelaufen und schlug dem bereite im Auto Sitzenden zweimal von hinten mit dem Kolben auf den Kopf. Man sieht auf den Bildern die schwarzen, blutunter­laufenen Flecken. Quer über seinen Kopf klaffte außerdem eine schwere Wunde. Man muss es als ausgeschlossen bezeichnen, dass ein so schwer Verletzter noch die Kraft besitzen konnte, einen Fluchtversuch zu unternehmen.

Schüsse in den Rücken, Stichwunden am Hals und Kopf

Die Überführung Liebknechts vom Eden Hotel nach Moabit wurde dem Kapitän­leutnant von Pflugk-Harttung übertragen. Dieser behauptete in seiner Aussage vor Gericht, er hätte während der Fahrt mit Liebknecht gesprochen und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die Be­gleiter im Falle eines Fluchtversuches schießen werden. Diese Aussage ist falsch. Der Jäger Friedrich, der den Trans­port auch begleitete, beschwört, dass im Auto kein Gespräch stattgefunden habe. Das Auto sollte nach Moabit fahren. Es fuhr aber am Neuen See entlang, in der Richtung nach der Charlottenburger Chaussee. An einer dunklen Stelle im Tier­garten stoppte der Wagen. Leutnant von Pflugk-Harttung, ein Bruder des Kapitän­leutnants, der das Auto steuerte, begann zu reparieren und behauptete nach einem flüchtigen Blick unter die Motorhaube, der Wagen sei nicht mehr gebrauchsfähig. Kapitänleutnant Pflugk-Harttung frag nun den schwer verletzten Liebknecht, ob er ein Stück gehen könne, bis ein zufällig ent­gegenkommender Wagen requiriert werde. Der Schwankende wurde aus dem Wagen gehoben, sieben Mann begleiteten ihn. Zwei gingen vorn, je einer zur Seite, drei rückwärts. Vor Gericht behaupteten dann diese sieben Begleiter, Liebknecht hätte einen Fluchtversuch unternommen, und sie hätten auf ihn von rückwärts mehrere Schüsse abgegeben. Diese Aussage ist nicht wahr.

Man sieht auf unseren Bildern deutlich die Schüsse, wo und wie sie in den Körper eingedrungen sind. Der tödliche Schuss durch den Kopf drang oberhalb des rechten Auges ein und verließ den Körper unter dem linken Ohr. Die breite Narbe, die versengten Wundränder beweisen die Richtung des Schusses von vorn und den Ausschuss am Hinterkopf. Auch der Schuss durch die Brust ist von vorn abgegeben worden. Liebknecht war tot und das Auto war plötzlich wieder in Ordnung. Man lud den Leichnam auf, die Helden verschwanden, und Leutnant Schulz, der sich als ein „Ulan Schulz“ ausgab, lieferte um 11 Uhr 20 Min. nachts die Leiche eines „unbe­kannten Mannes“ bei der Rettungswache Nr. 7, am Kurfürstendamm ab und sagte, er hätte den Toten im Tiergarten gefunden. Der Arzt, Dr. Jacobi, konstatierte den vor höchstens fünfzehn Minuten einge­tretenen Tod und ließ den Leichnam photographieren. Die Offiziere waren inzwischen in das Eden Hotel zurückgekehrt und hatten dort von ihrer Tat berichtet. Am nächsten Morgen wurde der tote Liebknecht iden­tifiziert, sein Bruder Theodor wurde ge­rufen und agnoszierte ihn.

Die zwei Kopfschüsse

Nun war es, wie die Polizei behauptete, nicht mehr notwendig, photographische Aufnahmen von dem Toten zu besitzen. Sie beschlagnahmte daher die Platten und nur je ein Abzug entging ihren Späherblicken. Es kam zur Obduktion der Leiche, die am 19. Jänner vorgenommen wurde. Der Gerichtsarzt, Dr. Marx, nahm sie in An­wesenheit des Geheimen Medizinalrats Pro­fessor Dr. Bier, des Dr. Levi als Vertreter der Familie, und des Sozialdemokraten Wegmann als Vertrauensmann des Voll­zugsrates und der Regierung vor. Er kon­statierte sieben Schüsse, durch die Lunge, durch den Oberarm, durch die Schulter, durch den Kopf und durch das Gehirn. Der letztere wurde als der tödliche klassifiziert. Durch Bloßlegung des Gehirns wurde festgestellt, dass dieser Schuss von vorn ab­ gegeben worden war, aus einer Entfernung, die nicht größer war, als ein Viertelmeter und aus einer Parabellumpistole. Diese Pistole gehörte dem Kapitän­leutnant Pflugk. Liebknecht wurde be­stattet und am 11. Mai desselben Jahres be­gann der Prozess gegen seine Mörder.

Die photographischen Aufnahmen der Leiche waren verschwunden und konnten das sachverständige Gutachten, das der Geheime Medizinalrat Dr. Strassmann vortrug und das gegenüber der ersten Fassung nach der Obduktion in wesent­lichen Punkten revidiert und verändert war, nicht entkräften. Der medizinische Sachverständige behauptete plötzlich, dass die Distanz von einem Viertelmeter nur als Minimum bezeichnet worden war und dass die Schüsse aller Voraussicht nach aus einer Entfernung von fünf bis sechs Metern abgegeben worden waren. Das Gericht der Garde-Schützen-Kavallerie-Division fällte am 15. Mai ein merk­würdiges Urteil: Der Jäger Runge wurde wegen Wachvergehens, versuchten Tot­schlags, Missbrauch der Waffen und Ge­brauchs falscher Urkunden zu zwei Jahren und zwei Wochen Gefängnis verurteilt, welche Strafe durch die Untersuchungshaft als verbüßt erklärt wurde. Leutnant Liepmann erhielt wegen Anmaßung einer Be­fehlsbefugnis in Verbindung mit Begünsti­gung sechs Wochen Stubenarrest. Leutnant Vogel schließlich wurde wegen Wachver­gehens, Begünstigung im Dienst, Missbrauch der Dienstgewalt und Beseitigung einer Leiche zu zwei Jahren vier Monaten ver­urteilt. Von der Anklage des Mordes wurden sie freigesprochen, ebenso die Mitange­klagten, Kapitänleutnant von Pflugk-Hart­tung, Leutnant Pflugk-Harttung, Oberleut­nant zur See von Rittgen, Leutnant Schulz, Leutnant Stiege und Leutnant Liepmann.

Der Schuss in den rechten Oberarm, der Schuss in die Brust

Durch einen Zufall gelang es uns, die be­schlagnahmten Photographien der Leiche Liebknechts zu ermitteln. Ein Photographisches Gutachten, das wir einholten, besagt, dass die Aufnahme echt und dass die Schuß­kanäle nicht hineinretouchiert sind. Der Bruder Liebknechts bestätigte die ihm vor­ gelegten Aufnahmen als Bilder seines er­mordeten Bruders. Es steht uns nicht zu gegen das sonder­bare Urteil des Berliner Militärgerichts, dessen Bestätigung übrigens Ebert ver­weigert hatte, irgendwelche kritischen Ein­wände zu erheben. Wir stellen nur auf Grund der Photographien fest, dass Lieb­knecht nicht auf der Flucht erschossen wurde, sondern dass der durch Kolben­schläge Schwerverletzte vorsätzlich er­ mordet wurde. Wir stellen ferner fest, dass eine große Anzahl Zeugen vor Gericht bewusst einen Meineid geschworen hat und wir stellen schließlich fest, dass das ärztliche Gutachten des Geheimen Medizinalrats Strassmann falsch war. Die Legende von der Er­mordung Liebknechts auf der Flucht ist zerstört, wenn man die hier veröffentlichten Bilder betrachtet. Falls die deutschen Gerichtsbehörden wünschen sollten, auf Grund des neuen Bilder­materials eine Revision des damaligen Pro­zesses herbeizuführen, so stehen ihnen diese Bilder jederzeit zur Verfügung. Sie brauchen sich aber gar nicht an uns zu wenden, sondern sie können im Berliner Polizeipräsidium die beschlagnahmten Platten finden. Und diese letztere, höchst merkwürdige Tatsache erweckt fast den Anschein, dass alles verbündet war, um das sonderbare Urteil vom 15. Mai 1919, den Freispruch aller Angeklagten, begründen zu können."


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